Der Lyriker und Sinologe Wolfgang Kubin ist in China vermutlich bekannter als in Deutschland. Seine scharfzüngigen Thesen über zeitgenössische chinesische Literatur erhitzten schon manche Gemüter, verdeutlichen aber das eigentliche Problem: Es sollte viele Gubins geben.
Wolfgang Kubin
Der Name Wolfgang Kubin ist der chinesischen Öffentlichkeit geläufig. Für viele ist er bekannt als „der Deutsche, der zeitgenössische chinesische Literatur scharf kritisierte, indem er sie als Trash bezeichnete.”
Die Medien lieben Kubin oder Gubin, so sein chinesischer Name. Offenherzig und aufrichtig können seine Worte leicht zu einer atemberaubenden Schlagzeile werden, die eine chinaweite Diskussion entzünden.
Obwohl, wie später deutlich wurde, die „Trash-These“ eine Fehldeutung war, weil aus dem Zusammenhang gerissen, wird der 71-jährige Sinologe der Universität Bonn und der Fremdsprachenuniversität Beijing noch von vielen als eine umstrittene Persönlichkeit im Bereich der chinesischen Literaturkritik betrachtet.
„Zeitgenössische Chinesische Schriftsteller wissen nichts über die Menschheit.”
„Chinesische Literatur nach 1949 ist Trash.”
Dies sind einige wenige seiner Bemerkungen, die, aufgrund seiner professoralen Angewohnheit sich kurz zu fassen, dem Rezipienten als grundlose Urteile und beleidigendes elitäres Denken erscheinen.
Elitenliteratur
Einige bezweifeln, dass Kubin qualifiziert sei, chinesische Literatur zu beurteilen. Sie nehmen in der Regel die Haltung ein, dass er tatsächlich ein Experte für alte chinesische Dichtung sei, ihn dies aber nicht zum Experten für zeitgenössische Literatur mache, und dass seine Schlussfolgerungen häufig zu bestimmt seien.
Auf die Frage, was er von der Kritik an ihm hält, antwortete Kubin der Global Times in einem E-Mail-Interview, dass er für jede Art der Kritik offen ist.
„Kritik ist etwas Gutes. Man kann aus ihr lernen. Ich lerne immer. Sie hilft mir zu verstehen, warum Leute mich missverstehen.”
„Ich spiele keine Rolle und vertrete keinen Standpunkt. Meine Stimme spricht nur, wenn sie gebeten wird. Wenn ich spreche, bin ich typisch deutsch: Freimütig zu sein ist typisch deutsch,” schrieb Kubin.
„Ob ich mich irre oder Recht habe, bestimmen meine Leser oder Zuhörer. Sie müssen entscheiden. Ich höre ihnen zu und ändere manchmal meine Meinung.“
Seine Bereitwilligkeit zum Zuhören konnte man 2012 betrachten, als Mo Yan zum allerersten Festlandautor wurde, dem der Nobelpreis für Literatur verliehen wurde. Kubin, der in einem Interview für das Deutschland Radio vorher behauptet hatte, die Arbeiten Mo`s „langweilen ihn zu Tode”, gab nun an, er wolle seine Ansichten überdenken.
Einige Jahre später besteht er allerdings doch noch darauf, dass seine Aussage über Mo richtig gewesen sei.
„Mo Yan und Yu Hua sind völlig unzeitgemäß. Sie schreiben im Stil des 19. Jahrhunderts (Europa) oder im Stil der Ming- (1368-1644) und Qing-Dynastie (1644-1911). In den 80er Jahren waren sie Avantgarde, heute sind sie völlig rückwärts gerichtet.”
Öffentliche Debatten über die Schärfe des Kritikers gegenüber der zeitgenössischen chinesischen Literatur erreichten 2006 einen Höhepunkt, als Kubin einige zornige Bemerkungen über mehrere berühmte Namen in der zeitgenössischen chinesischen Literatur machte.
Er erwähnte, dass Schriftsteller wie Su Tong und Yu Hua in Deutschland „eher populäre als ernste Schriftsteller sind.” Viele chinesische Leser machte es rasend, dass Schriftsteller, die lange als die besten Chinas gehandelt wurden, von diesem ausländischen Professor abgestempelt wurden. Einige warfen ihm vor, „ein Anhänger elitären Denkens mit geringer Beachtung für rustikale Werke zu sein.”
Kubin gab zu, dass er tatsächlich ein fester Unterstützer elitärer Literatur sei.
„Schauen Sie lieber Drittelligafußball oder die Meisterliga? Natürlich bevorzuge ich elitäre Literatur und Sprache, so wie ich die Meisterliga im Fußball bevorzuge.”
Er ist auch der Meinung, dass Literatur international sein sollte und nicht zuhause verharren darf.
„Da der Fußball selbst in China international ist, muss die Literatur auch international sein,” erklärte er.
„Ansonsten ist sie nicht einmal reif für die Dritte Liga.”
So, nach all den hässlichen Hieben, was ist denn nach Kubin „gute Literatur?”
„Literatur sollte für Männer und Frauen, Kinder, Tiere, die Luft, das Wasser, die Steine und Pflanzen sein,“ schrieb Kubin.
„Alle Geschichten über 'Ihn' und 'Sie' sind langweilig. Es ist immer dasselbe Zeug. Gute Literatur konzentriert sich heute in 100 Seiten auf 'Es'.”
Auf die Frage, ob es entsprechend seiner Definition irgendwelche chinesischen Schriftsteller gäbe, welche die Menschheit wirklich verstehen, nannte Kubin Wang Jiaxin. „Er kann herrlich über menschliche Wesen schreiben.“
Im Unterschied zu seiner häufig kritischen Einstellung gegenüber den meisten modernen chinesischen Schriftstellern zeigt Kubin eine große Achtung vor dem 59-jährigen chinesischen Dichter.
„Seine Gedichte über Leute in und außerhalb Chinas bewegen mich. Während ich übersetze, schreie ich. Er ist ein Dichter über Männer und Frauen.”
Zurzeit bereitet der Professor seinen zweiten Sammelband mit Gedichten Wangs auf Deutsch vor.
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