Im Interview mit People’s Daily Online spricht der Leiter des Goethe-Instituts in Beijing, Dr. Clemens Treter, über interkulturelle Kompetenzen, die Notwendigkeit von Strukturen zur Reflektion und Gelegenheiten für Begegnungen.
Von Ge Feili und Wang Xiaoding, People’s Daily Online
Dr. Clemens Treter, Leiter des Goethe-Instituts in Beijing, beim Interview mit People’s Daily Online in den Räumlichkeiten des Instituts im Künstlerviertel 798. (Foto: Wang Xiaoding)
Am 24. November ist das „Deutsch-Chinesische Jahr für Schüler- und Jugendaustausch 2016“ in Hamburg zu Ende gegangenen. People’s Daily Online hat ausgewählte Persönlichkeiten aus unterschiedlichen Kreisen interviewt, um damit den Lesern einen Überblick der Veranstaltungsserie zu bieten.
In diesem Artikel berichtet Dr. Clemens Treter, der Leiter des Beijinger Goethe-Instituts, über die Herangehensweise des Instituts zum Schwerpunktthema Austausch, die guten Erfahrungen mit Kurzzeitprogrammen für Schülerinnen und Schüler aus Deutschland und China sowie über die starken Partner vor Ort, mit denen das Goethe-Institut den Ausbau des chinesisch-deutschen Kultur- und Bildungsdialogs vorantreibt.
People’s Daily Online: Welche Veranstaltungen hat das Goethe-Institut im Rahmen des Deutsch-Chinesischen Jahres für Schüler- und Jugendaustausch 2016 organisiert?
Dr. Clemens Treter: Das Austauschjahr war für uns eine gute Gelegenheit, einen Fokus darauf zu richten, was wir im Bereich Austausch schon gemacht haben, dieses Jahr noch und auch weiter machen werden. Es war ein Spotlight auf einen längeren Prozess.
Im Bereich Schüleraustausch haben wir eine ganze Reihe von Projekten. Es gibt einen so genannten Kurzzeitaustausch, den wir mit der Stiftung Mercator und dem AFS zusammen machen, wo deutsche und chinesische Schüler sich für zwei Monate gegenseitig besuchen.
[Im Zuge dessen kommt beispielsweise] der deutsche Schüler erst nach China und lebt dort in einer Familie und nach einer gewissen Zeit geht der chinesische Schüler nach Deutschland und lebt dort in der Familie und geht auch auf die Schule – soweit das Sinn macht und funktioniert.
Wir machen auch rund um den Schüleraustausch eine ganze Reihe von Veranstaltungen. Zum Beispiel den Multiplikatoren-Austausch, wo sich Lehrer, die an Schulen für Austauschprogramme verantwortlich sind, eine Möglichkeit haben, sich fortzubilden. Das tun sie durch Workshops, die wir anbieten, aber auch ganz praktisch, indem sie bei anderen Lehrern wohnen in China und in Deutschland. Es sind nicht immer nur Lehrer, sondern je nach Schule auch mal [...] andere Verantwortliche.
Im Rahmen der Initiative „Schulen: Partner der Zukunft“ (PASCH) wurde eine sehr große Gruppe von chinesischen Schülerinnen und Schülern nach Deutschland geschickt zum Sommercamp. Sie wurden aus ganz China nach Peking eingeladen zu einem Vorbereitungskurs und hatten nach der Rückkehr auch eine Nachbereitung. Das heißt, dass man sich danach noch einmal trifft, über das Erlebte spricht und noch einmal Gelegenheit hat, das zu verarbeiten. Das ist sehr wichtig, damit der Austausch funktioniert, dass man noch eine Chance hat zu reflektieren.
Ein Projekt, was dieses Jahr neu gestartet ist, war „Jugend musiziert“ („China Youth Music Competition“), wo das Format „Jugend musiziert“, was es ja in Deutschland schon lange gibt, nach China transportiert wurde. Ein Wettbewerb für junge Amateurmusiker. Das Besondere am Format ist, dass es keinen extrem harten Wettbewerbscharakter hat , sondern es geht tatsächlich um das Vorstellen und Ausspielen der Stücke. Es gibt nicht nur einen Sieger, es kann auch mehrere erste Plätze geben, so dass es nicht die eine oder der eine ist, die alle anderen schlägt.
Gemeinsam mit dem Deutschen Musikrat haben wir die chinesischen Gewinner und die deutschen Gewinner zusammengebracht. Die chinesischen Gewinner sind nach Deutschland gefahren und haben unter anderem auf dem Sommerfest des Bundespräsidenten gespielt und die deutschen Gewinner sind hierhergekommen und haben am Tag der Deutschen Einheit in der Botschaft gespielt.
Das waren ein paar von den großen Highlights und Schwerpunkten. Wir haben natürlich das Thema Austausch als Grundmotiv, weil es bei uns immer um Begegnungen geht und um den Versuch in einen Dialog zu kommen.
People’s Daily Online: Was erachten Sie dahingehend als den größten Erfolg?
Dr. Clemens Treter: [Das Deutsch-Chinesische Jahr für Schüler- und Jugendaustausch] war noch mal eine Gelegenheit, dieses Thema in den Blick zu rücken – auch durch die Auftaktveranstaltungen und Abschlussfeier mit Bundespräsident Gauck, Liu Yandong und Frank-Walter Steinmeier.
Da wurde gezeigt, dass es als Voraussetzung für langfristig gute Beziehungen wichtig ist, bereits sehr früh anzusetzen, Verständnis zu schaffen und Begegnungen zu ermöglichen. Das ist der Erfolg des Jahres.
Wir hatten auch ein ganz tolles, erfolgreiches Filmfest Ende des Jahres. Da war auch das Thema „Coming of Age“ ein Schwerpunkt mit Filmen, die sich mit dem Erwachsenwerden beschäftigen.
Ich persönlich fand den Film „4 Könige“ sehr gut, weil der sehr offen und sehr behutsam über diese Geschichte erzählt und die Personen sehr ernst nimmt. Andererseits waren auch die Begegnungen und Gespräche mit Florian Gallenberger ganz toll, weil er ja ganz konkret schon die Erfahrung hat, dass er in China einen Film gedreht hat („John Rabe“) und das hat man natürlich gemerkt und daher war er für das Publikum ein toller Gesprächspartner.
People’s Daily Online: Wie definieren Sie Austausch und welche Möglichkeitsräume bietet diese Definition?
Dr. Clemens Treter: Begegnungen beim Schüleraustausch haben häufig etwas stark Touristisches und da sind die Austauschelemente vielleicht etwas weniger ausgeprägt. Da ist es wichtig, dass man gemeinsame Aufgaben schafft. Das wird von uns jetzt fortgesetzt mit dem Schulpartnerschaftsfonds, wo wir Schulen zusammenbringen und diese gemeinsam ein bestimmtes Thema oder Projekt erarbeiten [...] gemeinsam in kleinen Gruppen in einem Sommercamp.
Der Ursprung war das Projekt „Klimamacher“ in Zusammenarbeit mit der Stiftung Mercator, wo es darum ging, dass eine deutsche und eine chinesische Schule gemeinsam ein Thema bearbeiten, dazu einen kurzen Film machen, dazu eine kleine Ausstellung entwickeln.
Das ist so ein Punkt gewesen, wo man gesehen hat, dass Jugendliche nur zusammenzubringen, vielleicht ganz nett für einen Abend ist, aber erst wenn sie gemeinsam etwas tun und gemeinsam Probleme lösen müssen, entwickelt sich ein Austausch und dann merkt man, wo denn die Unterschiede in der Herangehensweise und der Kommunikation sind.
People’s Daily Online: Was haben sich Deutschland und China, deutsche und chinesische Schüler gegenseitig zu bieten?
Dr. Clemens Treter: Erstaunlich ist zum Beispiel aus dem Kurzzeitaustausch, dass wir da viele gesehen haben, die wiederkommen. Das hängt dann natürlich damit zusammen, ob das mit der Familie klappt. Das ist einerseits eine Herausforderung, andererseits kann es auch etwas Bereicherndes sein, wie man miteinander umgeht. Ein chinesischer Teilnehmer hat zum Beispiel nun ein Studium in Deutschland begonnen und lebt wieder in seiner alten Gastfamilie.
Der Alltag ist schon anders. Schule ist anders. Das ist auch nicht immer einfach. Das Entscheidende ist letztlich immer die persönliche Begegnung mit der Familie, mit den Menschen und dann merkt man, wenn man da den Draht findet, kann man in einer chinesischen Familie zum Beispiel auch viel Wärme finden, wie unsere deutschen Teilnehmer herausstreichen.
Die chinesischen Schüler, die nach Deutschland kommen, können teilweise auch die Freiheit schätzen lernen, die man natürlich auch verantwortlich nutzen muss. Die Menschenleere in Deutschland ist auch immer etwas, was genannt wird. Selbst von Berlin wurde uns gesagt, dass Berlin zwar ganz schön sei, aber zu wenige Menschen habe.
Wenn man diese Basis hat, dann merkt man auch, dass man ganz viel neue Zusammenhänge erleben kann, [...] dass man andere Perspektiven bekommt.
People’s Daily Online: Welche erfolgreichen Austauschformate gibt es bereits (vielleicht auch mit anderen Ländern)?
Dr. Clemens Treter: Es gibt das klassische Format des Schüleraustauschs [...], dass man mit Frankreich oder England einen Schüleraustausch macht, am Schulleben teilnimmt und in einer Familie lebt. Das hat sich nun einfach erweitert und [...] hat sich zwischen Deutschland und China jetzt noch entwickelt. Wir haben 2009, 2010 mit dem Kurzzeitaustausch angefangen und das hat sich schrittweise fortgesetzt.
Den Kurzzeitaustausch halte ich für ein recht erfolgreiches Programm, weil die Zeit von zwei Monaten intensiv genug ist, um etwas mitzunehmen, was auch prägt, aber auch überschaubar genug bleibt. Und das Format hat tatsächlich die Austauschkomponente. Häufig gibt es ja auch so genannte Schüleraustauschprogramme, wo wir nicht daran beteiligt sind, [...] die dann eher ein touristischen Programm machen.
Was wir auch im Dialog mit der deutschen Botschaft für uns erkannt haben, ist, was wir als Kernvoraussetzung von Austausch sehen: die Möglichkeit in einer anderen Familie zu leben, die Gelegenheit die Schule zu besuchen und Möglichkeit zu bekommen, Einblick in das echte Leben zu bekommen.
Viele Dinge, die man als Kompetenzen entwickeln muss, sind ja gar nicht so spezifisch, sondern es geht darum, eine gewisse Sensibilität zu entwickeln und mal die Perspektive wechseln zu können und zurückzuschauen.
People’s Daily Online: Wie geht es nun nach dem offiziellen Ende des „Deutsch-Chinesischen Jahres für Schüler- und Jugendaustausch“ in Zukunft in diesem Bereich weiter für das Goethe-Institut in Beijing?
Dr. Clemens Treter: In den letzten zehn Jahren haben sich schon viele Sachen entwickelt und nun denkt man darüber nach, welches sind die Formate, die wir weiterverfolgen, mit welchen Partnern stellen wir uns da auf. Das Jahr hat diese Aufmerksamkeit geschaffen. Es war ein Fokus, auf den man nun Bezug nehmen kann.
Als Goethe-Institut ist Austausch ein Grundprinzip unserer Arbeit und die Formate sind immer dialogorientiert. Wir sind hier, um einen Dialog zu machen und zu verstehen. Aber es geht tatsächlich in beide Richtungen.
Austausch ist nicht in einem Jahr erledigt und da gibt es durchaus ein großes Potential zum gegenseitigen Kennenlernen, das ist noch nicht erschöpft, auch unabhängig davon wie sich politische und wirtschaftliche Beziehungen mal besser, mal schlechter, mal schwieriger, mal einfacher entwickeln. Wenn man Verständnis hat, dann hilft das, den Kontakt zu verbreitern.
Weiterführende Links:
Goethe-Institut Beijing: https://www.goethe.de/ins/cn/de/sta/pek.html
Kurzzeit-Schüleraustausch mit China: https://www.afs.de/kurzzeit-schueleraustausch-china.html
Mercator-Schulpartnerschaftsfonds Deutschland – China: https://www.kmk-pad.org/programme/mercator-schulpartnerschaftsfonds-deutschland-china.html
Interview mit der Regisseurin von „4 Könige“: http://german.people.com.cn/n3/2016/1115/c209053-9141931.html