Hinter der Fassade eines „Kampfs der Kulturen“ liegt der wahre Grund für die Konflikte in Folge mangelnder Integration von Migranten in den wirtschaftlichen und sozialen Ungleichheiten der westlichen Gesellschaften.
(Illustration: Liu Rui, Global Times)
Vor nicht allzu langer Zeit hat sich Bundeskanzlerin Angela Merkel für ein gesetzliches Verbot von Gesichtsschleiern in Deutschland ausgesprochen, was ihr viel Unterstützung einbrachte. Europa war einst bekannt für religiöse Inklusivität, doch seit den Terroranschlägen im November 2015 in Paris und einigen weiteren Anschlägen religiöser Extremisten in diesem Jahr, wird diese Inklusivität immer mehr zu einem Luxus.
Unvergessen bleibt das Burkini-Verbot des letzten Sommers, welches am Ende doch noch vom obersten Gerichtshof in Frankreich gekippt wurde. Die hitzigen Debatten in der französischen Öffentlichkeit über Säkularismus und Diversität sind immer noch nicht abgekühlt.
Ob Multikulturalismus einen geeigneten Weg hin zu einem harmonischen Miteinander darstellt oder zu einem „Kampf der Kulturen“ führt, ist eine langjährige und schwierige Frage in Europa und den USA, welche durch die Flüchtlingskrise, ethnische Spaltung und Terrorgefahr im Westen noch verschlimmert wurde.
In den meisten westlichen Ländern ist Einwanderung ein Produkt der Kolonialgeschichte und der Arbeitskräftenachfrage in den alternden Gesellschaften. Viele der Migranten haben Schwierigkeiten, Zugang zu Bildung, Beschäftigung und Integration in den Mainstream zu finden.
Migranten sind zu einer verletzlichen Gruppe von armen Menschen mit der höchsten Arbeitslosigkeitsrate in Frankreich geworden. Selbst Länder wie Deutschland, wo Einwanderer relativ gut aufgestellt sind, ist soziale Diskriminierung gegen Ausländer weit verbreitet, trotz des ausdrücklichen Gebots nach gleichem Recht für alle.
Knappe Ressourcen und ein Mangel an Identität können leicht zur spiritueller Armut und Extremismus führen. Das Aufkommen von Extremismusjüngern innerhalb der folgenden Wellen von Einwanderern ist nur schwierig zu verhindern. Dies ist auch der Grund dafür, dass den Anschlägen von „einsamen Wölfen“ in Europa so schwer beizukommen ist.
Der Multikulturalismus ist im Westen gescheitert. In ihm vermengen sich sozioökonomische Angelegenheiten mit Fragen der Identitätspolitik. Kulturelle Labels werden verschiedenen ethnischen Gruppen zugeordnet, welche die Menschen nur noch mehr spalten und konfrontativ machen.
Das Konzept des „Kampfs der Kulturen“ in Europa und den USA entsprang den Überlegungen der intellektuellen Elite über die Beziehungen zwischen Innenpolitik und internationalen Beziehungen. Der US-amerikanische Politikwissenschaftler Samuel Huntington brachte die Idee vor 20 Jahren auf, um die internationale Politik zu analysieren. Seine tiefste Besorgnis war jedoch die Entwicklung der innenpolitischen Angelegenheiten der USA, insbesondere die Angst der angelsächsischen Elite vor einer Übernahme durch die einströmenden hispanischen Einwanderer. Dies ist die wahre Sorge, mit der sich die USA konfrontiert sehen und weit größer als die vor einer ausländischen Aggression.
Die Theorie des „Kampfs der Kulturen“ fußt auf der Anerkennung der Diversität von Kulturen, was unzweifelhaft einen Fortschritt im Vergleich zu den als universell angesehenen Werten der konservativen westlichen Zivilisation darstellt. Doch dies führt schnell zu dem rigiden Denken, dass Diversität zwischen den Kulturen und eine multipolare Welt miteinander verbunden sind und sich die verschiedenen Kulturen auf einem Konfrontationskurs befinden.
Dieses Denken führt zur Annahme, dass Menschen unterschiedlicher ethnischer Zugehörigkeit im Geiste ungleich sind, was schlicht der menschlichen Natur und dem Streben nach gleichen Interessen zuwiderläuft. Die Anschläge vom 11. September in New York sowie die Flüchtlingskrise und der Terror in Europa zeigen, dass der Westen nur schwierig damit umgehen kann.
Bestimmungen wie das Burkini-Verbot verschlimmern die Konfrontation. Die Eliten Europas und Amerikas haben die Führung in der Theorie übernommen und das Banner eines „Kampfs der Kulturen“ erhoben, was nicht nur das Konfliktgefühl unterstreicht, sondern zur Spaltung von sozialen Gruppen beiträgt, die Dispute in internationalen Beziehungen verstärkt und die Bemühungen der sozialen Integration und Toleranz in der internationalen Gemeinschaft zunichte macht.
Diversität der Kulturen ist eine inhärente Realität, die nur schwierig zu ändern ist. Doch Konflikt ist kein unabwendbares Schicksal. Nur wenn westliche Gesellschaften sich ernsthaft mit den Ursachen des „Kampfs der Kulturen“ auseinandersetzen, kann die Krise in Europa und den USA wahrhaft entschärft werden.
Cui Hongjian ist Abteilungsleiter für Europastudien am Chinesischen Institut für Internationale Studien. E-Mail: opinion@globaltimes.com.cn