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Chinesisch hat keine falschen Freunde

(German.people.cn)
Dienstag, 11. Oktober 2016
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Von Ge Feili

Wer die Sprache beherrscht, beherrscht das Denken. Vor allem Internationalismen halten fast die gesamte Welt im festen Griff. Die chinesische Sprache ist für den griechisch-römischen Stil jedoch schwer zu fassen.

名不正则言不顺

言不顺则事不成

Sind die Begriffe nicht korrekt, dann ist die Rede nicht klar

Ist die Rede nicht klar, dann können die Angelegenheiten nicht erledigt werden

– Konfuzius

Latein und Altgriechisch sind tot und doch führen sie weiter auf der ganzen Welt ihr Unwesen: Global revitalisiert, sozial integriert, akademisch klar definiert. Internationalismen, Wörter die in vielen Ländern und Sprachen verwendet werden, besitzen meist lateinische oder griechische Wurzeln. Sie sind translingual, sprachdurchdringend, in ihren Bedeutungen und damit sozusagen ein Teil einer Proto-Weltsprache, in der man zwar noch ohne Grammatik vor sich hin stammeln, aber sich doch relativ gut verständlich machen kann.

Dieses Gefühl des Sich-verständlich-machen-Könnens war noch vor nicht allzu langer Zeit alltäglicher als heutzutage in Europa und der Welt. Deutsche Urlauber traten unerschrocken die Reise nach Spanien, Frankreich oder Italien an, ohne in der jeweiligen Landessprache bewandert zu sein. Man komme da schon irgendwie durch, so die Idee, notfalls könne man sich ja mit Händen und Füßen verständigen.

Diese unbesorgte Herangehensweise gibt es unter Chinesen eher selten. Kein Ausländer könne Chinesisch und alle Ausländer sprechen Englisch, ist man sich in China gewiss. Es gibt einen grundsätzlichen Unterschied zwischen Chinesischsprachigen und Fremden, den man glaubt, nicht so einfach überbrücken zu können. Jegliche Verständigung ist demzufolge ausschließlich über Chinesisch möglich und das Fehlen dieser Grundlage führt daher schnell zu Panik – „O je, ein Ausländer!“ –, denn die logische Konsequenz ist Kommunikationsunfähigkeit, Chaos, Barbarei und das Ende aller Zivilisation!

„Da legst di nieda!“ – Darstellung der Entstehung der bairischen Sprache zu Babel und Beginn der Kommunikationsunfähigkeit.

Mit anderen Worten in eigener Sache

Wie beruhigend, wie bequem ist es da doch für all jene, die sich der lateinischen Schrift oder einer Transliteration in ihre Landesschrift bedienen, um Konzepte wie das oben genannte Museum, wissenschaftliche Wörter (wie Biologie) oder politische (wie Demokratie) auszudrücken. All diese Wörter, auf die sich ein großer Teil der Welt geeinigt hat, sind Internationalismen.

Anders als Wörter wie „übergeben“, welches zwei sehr unterschiedliche Bedeutungen ausdrückt, sind Internationalismen oft relativ vage, wie „Politik“, aber um eine Idee herum definiert, während reguläre Wörter klar, aber sehr unterschiedlich definiert sein können. Hygiene hat beispielsweise etwas mit Sauberkeit oder im weiteren Sinne mit der Absage von unsauberen Praktiken zu tun, wie bei der Schlafhygiene. Einen Zug hingegen kann man machen, haben und in ihm fahren.

Zu den Internationalismen zählen heutzutage auch Entlehnungen aus dem Englischen als dominierende Lingua anglica. Jedoch besteht Englisch mit einem Umweg über das romanische Französische zum Großteil ebenfalls aus lateinischen und griechischen Wörtern. Internationalismen bieten die Möglichkeit der Flucht in eine andere Sprache, falls die eigene zu ungemütlich erscheint. Diese Praktik stellt auch in Deutschland ein häufiges Phänomen dar.

So könnte man mal eben einer Freundin davon erzählen, dass man auf einem Public Viewing plötzlich gemerkt hat, dass man das Handy in seinem Oldtimer gelassen hat. Dass man mit den Nomen des Satzes in England nicht weit kommen würde, hat sich mittlerweile auch in deutschsprachigen Regionen ein wenig herumgesprochen.

Die drei englisch-anmutenden Wörter sind sogenannte Scheinanglizismen, die auf Englisch entweder gar nicht benutzt werden oder eine gänzlich andere Bedeutung haben. Gängigerweise bezeichnet man ein Handy als „mobile phone“ oder „cellphone“, einen Oldtimer als „antique car“ und Public Viewing als „fan fest“. Ein Oldtimer bezeichnet auf Englisch hingegen eher eine Person und das Public Viewing die öffentliche Aufbahrung eines Verstorbenen.

Die Nutzung oder Zweckentfremdung von Internationalismen und der englischen Sprache lässt sich an zwei Wörtern verdeutlichen: zum einen am Patriotismus und zum anderen am erwähnten Public Viewing. Beide Konzepte könnten auch auf Deutsch ausgedrückt werden, finden aber teils bedingt durch die deutsche Vergangenheit hauptsächlich auf Englisch Verwendung.

Die Leichenschau der Vaterlandsliebe

Während es die Mutterlandsliebe erst gar nicht gibt, kommt einem die Vaterlandsliebe als Deutscher schon gefühlt komisch vor. Obwohl sie sich aus unschuldigen Wörtern wie Vater, Land und Liebe zusammensetzt und Landliebe den meisten Deutschen gern über die Zunge geht, hört beim Vaterland für viele schon der Spaß auf. Seit 1943 verliert die Nutzung von „Vaterlandsliebe“ in deutschsprachigen Veröffentlichungen gegenüber dem „Patriotismus“ an Boden. Sowohl Patriotismus als auch die Public Viewings haben vor allem im Zuge einer sommermärchenhaften Fußball-Weltmeisterschaft in Deutschland vermehrt Beachtung gefunden.

Darf man – wieder – stolz auf Deutschland sein? Darf man die schwarz-rot-goldene Fahne schwenken? Selbst wenn man – wie wahrscheinlich viele – noch nie eine Deutschland-Fahne geschwenkt hat, wird dieses „wieder“ benutzt, als ob man das Gefühl des Stolzes und das Bedürfnis ein Stofftuch zu wedeln jahrelang unterdrücken musste. Dürfen wir wieder stolz auf unser Land sein? Geht denn das? Und wer ist genau mit „wir“ gemeint?

Das bisschen Fahneschwenken zur WM führte jedoch weder dazu, dass Menschen als Vaterlandsverräter verdammt wurden, falls es ihnen an -liebe fehlte, noch bezeichneten sich ihre Pendants auf dem Spektrum als Vaterlandsliebhaber. Auch Patriot wollte man nicht wirklich sein. Es hatte eher etwas Vorübergehendes. Eine Sommerliebe eben. Man adjektivierte sich zu begeistert, mitgerissen oder einfach ein bisschen stolz. Das geht auch wieder weg.

Auch wenn die wörtliche Bedeutung von Vaterlandsliebe und Patriotismus sich sehr ähneln, bildet das lateinische Fremdwort einen Ausweg aus dem oft so unentspannten Verhältnis zum Heimatland, denn Patrioten und Patriotismus gibt es auch in anderen Staaten, nicht nur als Personen und Verbundenheit, sondern ganz wörtlich in den Sprachen.

Public Viewing stellt einen weiteren Teil des Umgangs mit dem Wir-Gefühl in Deutschland dar. Es ist ein falscher Freund, den sich die Deutschen zu Eigen gemacht haben, um ein Ereignis zu benennen, welches sie sich eigentlich nicht erlauben möchten. Das Rudelgucken begünstigt die Formung einer Massenidentität und ist daher schon per se suspekt. So hat man vielleicht nicht nur aus cool-hippen Marketingzwecken, sondern eher entschuldigend zur englischen Sprache gegriffen, um jene identitätsstiftenden Versammlungen zu bezeichnen. Spätestens seit den Olympischen Spielen in München 1936 erfreute sich das gemeinsame Schauen und Mitfiebern enormer Beliebtheit in Deutschland, damals noch in sogenannten Fernsehstuben.

Während das Englische mit Public Viewing also die öffentliche Aufbahrung einer Leiche beschreibt, könnte man dies für Deutschland dahingehend umdeuten, dass man immer mal wieder den Leichnam der Vaterlandsliebe ausstellt. Zu diesem Anlass kann man sich dann auch mal emotional zeigen, mit Feuerzeug als Grablichtersatz.

Die ausgelassene Trauerfeier zum Public Viewing.


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