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Chinesisch hat keine falschen Freunde (2)

(German.people.cn)
Dienstag, 11. Oktober 2016
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Die Xenokratie der Fremdwörter

Demokratie setzt sich aus den griechischen Wörtern „demos“ und „kratia“ zusammen. Demos bezeichnete ursprünglich nur eine Gemeinde in der Gliederung unter der Polis, der Stadt, deren Verwaltung schließlich zur Politik wurde. Mit ihr wurde eine Form der selbstbestimmten Verwaltung der Einwohner (oder Vertretern von ihnen) eines Gebiets umschrieben.

Was bedeutet nun aber Demokratie für Menschen in Deutschland und China heutzutage? Eine wichtige Eigenschaft des Menschseins ist es, sich in andere hineinversetzen zu können. Diese Art der Empathie bedeutet in den meisten Fällen jedoch genau das: man versetzt sich selbst in andere hinein und denkt sich zweimal. Diese Eigenschaft führt beispielsweise auch dazu, dass Kinder und Tiere, die einen niedlichen Eindruck machen, weltweit ungefragt und unüberlegt durchgeknuddelt werden, da andere das eigene Verlangen nach körperlicher Nähe in sie hineinprojizieren, ohne dabei auf etwaige Ängste oder Befindlichkeiten zu achten.

Was hat das mit dem Demokratieverständnis zu tun? Jene Länder die sich als Demokratien verstehen und sich buchstäblich auch so beschreiben, projizieren ihr Verständnis in andere Länder hinein. Eine Demokratie besitzt daher Wahlen, Volksvertreter und Parteien. Sobald sich andere Länder als Demokratien bezeichnen, rechnet man mit gewissen Eigenschaften, die man aus seiner eigenen Regierungsform kennt. Das Selbstbild wird damit zum Fremdbild.

Mit der Zeit entwickelt sich das Gefühl, dass die scheinbar universelle Verständlichkeit der Wörter auch eine Art universelle Norm umfasst. Man selbst und andere haben demokratisch zu sein. Was bedeutet diese „Herrschaft des Volkes“ dann aber letztlich ganz konkret? Einen Zettel in eine Urne werfen, wenn man denn will?

Das Drumherum besteht unter anderem aus Rechtsstaatlichkeit, Meinungsfreiheit, Gewaltenteilung, Grundrechten und sozialer Absicherung, was aber für viele Menschen den eigentlichen Charakter einer Demokratie ausmacht. Dem Wort Demokratie wird daher viel mehr Bedeutung beigemessen als der deutschen Entsprechung Volksherrschaft. Diese wird in der Regel nur als Argument herangeführt, wenn eine größere Partizipation gewünscht wird, was in den meisten Fällen jedoch der Umsetzung der eigenen Partikularinteressen entspricht.

Was versteht man in China unter dem Wort Demokratie? Westliche Demokratie. China ist seinem Selbstverständnis nach ein demokratisches Land und nutzt diesen Begriff auch in Übersetzungen. Doch eigentlich gibt es in China eben民主 (gesprochen: Mínzhǔ) und das ist ein chinesisches Wort und wird von China definiert.

Die grünen Staaten bezeichnen sich selbst als demokratisch.

Rechthaben oder Sein

Durch Internationalismen werden Sprachbarrieren permeabel und Wörter auf internationaler Ebene durch einen Diskurs definiert. Wer den Diskurs dominiert, besitzt maßgebliche Deutungsmacht. Diese bezeichnet die Macht eines Akteurs, ein Thema deuten und Wahrheit erkennen zu können. Damit geht einher, die öffentliche Meinung beeinflussen zu können. Ganz konkret kann das durch Übernahmen von Medienanstalten durch einzelne Interessensgruppen oder realitätsferner staatlicher Propaganda geschehen oder – weniger offensichtlich – durch die Unterschlagung unerwünschter Argumente.

Diese Deutungshoheit umfasst Themen oder auch einzelne Wörter, den Kampf gegen den Terror genauso wie das Wort Demokratie. Akteure, also unter anderem Staaten, Organisationen oder Interessensgruppen, welche Diskurshoheit besitzen, können entscheiden, über was geredet wird und mittels Definitionsmacht bestimmen, was als wahr oder falsch gilt. Der Diskurs basiert damit nicht auf Fakten und sucht auch nicht notwendigerweise eine Auseinandersetzung oder Überzeugung auf derartiger Grundlage, sondern konstruiert selbst Wirklichkeit.

Die Macht der Länder, die im Ringen um Definitionen einen römisch-griechischen Stil pflegen, liegt darin begründet, dass sie Forschung und Unterhaltungskultur dominieren. Englisch ist nicht nur seit mehr als einem Jahrhundert bei wissenschaftlichen Publikationen vorherrschend, sondern seit Ende des Zweiten Weltkriegs auch als Sprache in der Musik und Filmindustrie.

Besonders die Wissenschaftssprache ist ein entscheidender Punkt in der Schaffung von Wirklichkeit, stellt sie doch neben der Mathematik ein gesellschaftlich allgemein anerkanntes Mittel dar, um Fakten, Realität und ihre Zusammenhänge zu beschreiben. Daher greifen auch Scharlatane gern darauf zurück, um aus morphogenetischen Feldern, Antineoplastonen oder Homöopathie Profit zu schlagen.

Wie Daten von Scopus zeigen, einer Datenbank für wissenschaftliche Journalbeiträge, werden für jeden Artikel in der „Nederlandse taal“ über 40 auf Englisch in den Niederlanden veröffentlicht, während sich das Verhältnis in Deutschland langsam aber stetig auf rund 10:1 erhöht hat. Obwohl auch in China die Veröffentlichungen in englischer Sprache zunehmen und damit auch der Gebrauch von lateinisch-griechischen Wortkonstruktionen steigt, stehen die englischsprachigen Publikationen zu den chinesischsprachigen noch in einem annähernd ausgeglichenen Verhältnis.

Gedacht, geforscht und geschrieben wird also vornehmlich auf Chinesisch und anschließend übersetzt. Auch gelesen, zitiert und kritisiert werden chinesische Veröffentlichungen hauptsächlich auf Chinesisch und bilden damit ein abgeschlosseneres wissenschaftliches Forschungsumfeld als in anderen Ländern.

Die Quadratur des falschen Freundeskreises

Wir befinden uns im Jahre 2016. Der ganze Globus ist von römisch-griechischen Wörtern durchdrungen... Der ganze Globus? Nein! Ein von unbeugsamen Menschen bevölkertes Land namens China hört nicht auf, den Eindringlingen Widerstand zu leisten. Und das Leben ist nicht leicht für die römisch-griechischen Lexeme, die sich in Wissenschaft, Technik und Kultur breitgemacht haben...

Auf Chinesisch gibt es zwar einige wenige Xenismen, die sich in die Alltagssprache eingeschlichen haben, wie Yōumò (幽默) für Humor und Jīyīn (基因) für Gen oder das nicht völlig eingebürgerte APP für App, welches keine eigenen Schriftzeichen besitzt. Yōumò (幽默) setzt sich aus den Zeichen für „abgeschieden“ und „still“ zusammen und könnte suggerieren, dass Chinesen zum Lachen in den Keller gehen, stellt jedoch eigentlich eine lautliche Übertragung dar. Jīyīn (基因) ist als „Grund-Ursache“ eine sowohl lautliche Übersetzung aus dem Englischen als auch bedeutungsmäßige Annäherung.

Internationalismen kommen durch ihre scheinbare Universalität und tatsächliche Unklarheit zuweilen als falsche Freunde daher, als Begriffe also, die einem Wort aus dem eigenen Sprachgebrauch ähneln, sich aber in der Bedeutung von diesem unterscheiden. Public Viewing gehört als Scheinanglizismus genauso dazu wie – im weiteren Sinne – auch Wörter, die andere Assoziationen hervorrufen, Gefühle wecken und Werte ausdrücke. Während Public Viewing in den USA eine gänzlich andere Bedeutung besitzt, wird Patriotismus vor allem anders wahrgenommen.

Ein Deutscher in China hat keinerlei Anzeichen für eine mögliche Verständigung mit der Bevölkerung, da sich die Andersartigkeit der Sprache in Wort und Schrift als unüberbrückbar darstellt. Der chinesische Wortschatz speist sich nicht aus lateinisch-griechischen Quellen, sondern aus sich selbst heraus. Notgedrungen, da Chinesisch weder ein Alphabet noch eine Silbenschrift wie das Japanische verwendet, welche eine Einbürgerung ausländischer Wörter ermöglichen würde.

Die münchhausensche Leistung, sich am eigenen Haarschopf aus dem Sumpf der Wortlosigkeit zu ziehen, hat zur Folge, dass im Laufe dieses Prozesses der Selbsterschaffung, der Autopoiesis, die chinesische Sprache sich undurchlässig gegenüber Fremdeinflüssen zeigt. Das Wort Übersetzung hat damit eine etwas andere Bedeutung als für eine vom Englischen ins Deutsche. Während es vom deutschen ans englische Ufer vielleicht nur ein paar gedankenloser Ruderschläge bedarf, muss man, um chinesischen Boden zu erreichen, aufwendig und achtsam übersetzen.


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