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„Blue Collar” im Sinkflug? (2)

(German.people.cn)
Sonntag, 04. Januar 2015
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Deutsche und Chinesen haben eine völlig andere Mentalität. Was sind für Sie als „deutscher Experte“ die größten Schwierigkeiten hier an dieser Schule?

Das erste chinesische Wort außer „Ni hao”, das ich hier gelernt habe, war „Mei you wenti” – „Kein Problem”. Als Deutscher habe ich gelernt, gleich zu fragen. Jetzt und heute. Der Chinese aber sagt „Mei you wenti”. Wenn ich einen Schüler frage: „Wie siehts aus, hast du noch Fragen?” Dann kriege ich oft zu hören: „Ich weiß Bescheid”. Wenn ich Glück habe, kommt er am nächsten Tag zu mir und sagt: „Ich hab das gestern nicht ganz verstanden, kannst du mir das noch einmal erklären?” Ich frage ihn dann: „Warum hast du nicht gestern gefragt?” Das ist etwas, was für mich nur schwer verständlich ist.

Eine weitere Schwierigkeit ist das Ernstnehmen von etwas – was auch mit den Denkstrukturen und Gewohnheiten zusammenhängt. Eine praktische Tätigkeit ist nichts Minderwertiges. Im Gegenteil! Wenn die Komponenten eines Flugzeugs nicht einwandfrei hergestellt sind, ist die Sicherheit gefährdet. Es hängen Menschenleben davon ab. Beim Flugzeug ist das besonders dramatisch. Daher muss man gewisse Dinge einüben: Nochmals, nochmals und nochmals! Hier aber heißt es schnell einmal: Wie? Ich hab das ja schon zweimal gemacht! Bei Airbus üben wir das tausende Male in der Ausbildung. Wir sagen: Ein Fehler in der Ausbildungswerkstatt kostet zehn Euro. Ein Fehler im Flugzeug kostet zehntausende Euro. Da geben wir doch lieber ein paar Male zehn Euro aus, als Zehntausende. Fehler machen liegt da nicht drin, sondern da muss hundertprozentig gearbeitet und abgeliefert werden. Leider wird das hier so nicht wahrgenommen.

Stichwort Denkstrukturen: Gehen Schüler in Deutschland und China ein Problem unterschiedlich an? Haben Sie als Ausbilder schon unterschiedliche Lösungsansätze festgestellt?

Heute morgen mussten die Schüler in einer Gruppenarbeit Brücken aus Papier herstellen. Solche Aufgaben sind hier eher ungewöhnlich. Zu meiner Freude habe ich festgestellt, dass es durchaus auch junge Chinesen gibt, die strukturiert vorgehen. Eine Gruppe jedenfalls hat zuerst eine Zeichnung angefertigt und darüber diskutiert. Nach Abwägen von Pro und Contra haben sie sich zusammen für einen Weg entschieden. Das war mir natürlich sehr sympathisch. Die anderen haben einfach die Schere genommen und drauflosgeschnibbelt. Da war nur wenig oder gar kein System zu erkennen.

Zumindest an den Gymnasien werden die Schüler in Deutschland darauf vorbereitet, vor der Gruppe zu sprechen oder Präsentationen zu halten. Im chinesischen Unterricht findet das eher nicht statt.

Gibt es umgekehrt auch Bereiche, in denen die chinesischen Schüler ihren Altersgenossen aus Deutschland überlegen sind?

Die Chinesen können von Hause aus gut auswendig lernen. Die Frage ist natürlich, ob uns das heutzutage noch weiterbringt. Denn außer in Quizsendungen im Fernsehen wird dieses Auswendiglernen im praktischen Alltag kaum mehr gebraucht. Meiner Erfahrung zufolge waren Leute, die nur auswendig gelernt hatten, in der Regel nicht brauchbar. Viel wichtiger ist, dass die Leute angeregt werden, ihre Meinung zu sagen und Zusammenhänge zu erkennen. Sie müssen ein Problem in eigene Worte fassen können. Das hat für mich oberste Priorität.

Inwiefern manifestiert sich dieses Auswendiglernen an Ihrer Schule? Können Sie uns ein konkretes Beispiel geben?

Junge Deutsche können Sie nach zwei, drei Jahren Englisch ansprechen. Sie werden Ihnen antworten, auch wenn ihre Grammatik vielleicht nicht ganz stimmt. Chinesen hingegen neigen dazu, etwas entweder richtig zu machen, oder es gar nicht erst zu versuchen. Entweder sprechen sie, oder sie schweigen. Vergangene Woche ging ich durch die Werkstatt. Ich fragte einen Schüler, der angeblich acht oder neun Jahre Englischunterricht gehabt hat: „Do you speak English?” Ich wollte zumindest ein „yes” oder „no” hören. Doch es kam überhaupt nichts! Der Schüler guckte mich an, als wenn ich ihm was tun wollte. Um 20 Uhr geht es hier vor der Mensa zu wie auf einem Jahrmarkt. Aber in der Werkstatt verhalten sich dieselben Leute, als hätte jemand einen Schalter umgelegt. Das ist für mich schwer verständlich. Man muss allerdings auch sagen, dass die Einstellungsszenarien hier anders sind als in Deutschland. Bei Airbus in Hamburg suchen wir die Auszubildenden jedes Jahr unter 2000 bis 4000 Bewerbern mit guten Zeugnissen aus. Hier aber läuft es nach dem Prinzip: Wir brauchen 40. Warum also nehmen wir nicht gleich die ersten 40?

Während seines Deutschland-Besuchs im Oktober 2014 hat Premier Li Keqiang Kanzlerin Angela Merkel einen Luban-Holzknoten geschenkt, der an Ihrer Schule hergestellt wurde. Was wäre das größte Geschenk, das Ihnen Ihre Schüler machen könnten?

Wenn die Schüler mir im Rahmen einer Gruppenarbeit ein nach Luftfahrtregeln, selbstgeplantes- und gefertigtes Teil präsentieren würden, und das ohne fremde Hilfe. Hier werden nämlich oft Dinge präsentiert, die von den Lehrern den letzten Schliff erhalten haben, so wie das auch bei diesem Luban-Holzknoten der Fall war.


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