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Regisseur Christopher Rüping: Durch Theater rückt die Welt ein Stückchen näher zusammen (3)

(German.people.cn)

Mittwoch, 17. Juli 2019

  

Ihre Inszenierung von „Trommeln in der Nacht” begleitet Sie nun schon seit einiger Zeit. Sie feierten 2017 mit dem Stück Premiere, wurden ein Jahr später zum Berliner Theatertreffen eingeladen und in diesem Jahr zum Theatertreffen in China. War es für Sie schwer wieder reinzukommen in das Stück?

Es war leicht wieder reinzukommen. In diesem Fall vor allem, weil es ein Stück von den Münchner Kammerspielen ist, wo ich Hausregisseur bin. Hausregisseur bedeutet auch, dass ich in München lebe und bei relativ vielen der regulären Vorstellungen dabei bin. Einfach, weil ich mit den Leuten am Theater befreundet bin und wir gern zusammenarbeiten. Ich gucke mir das Stück nicht immer an, aber ich komme zumindest vorbei und gehe mit den Leuten anschließend noch was trinken. „Trommeln in der Nacht“ ist demnach eines der Stücke, mit denen ich ständig in Kontakt bin, auch weil wir damit häufig auf Gastspiele fahren. Da musste ich mich nicht anstrengen wieder reinzukommen.

Dennoch ist es jedes Mal, wenn ich mich damit beschäftige, wieder eine Reise in meine eigene Vergangenheit. Sowohl in meine private Vergangenheit, wie mein Leben zu dem Zeitpunkt aussah, als ich an dem Stück gearbeitet habe, als auch in meine künstlerische, da ich mittlerweile natürlich an einem anderen Punkt bin. Trotzdem ist diese Arbeit mir immer noch sehr nah.

Wie kamen Sie ursprünglich auf die Idee das Stück fast 100 Jahre nach seiner Uraufführung wieder in Szene zu setzen?

An den Münchner Kammerspielen, wo 1922 die Uraufführung dieses Stückes war, gibt es die Legende, dass während der Aufführung eines der ersten Brecht-Stücke im Zuschauerraum Plakate und Banner hingen mit dem Spruch „Glotz nicht so romantisch“. Das kannte ich als Anekdote, konnte es jedoch nicht mit einem Stück verbinden. Irgendwann haben wir dann nach einem Stück gesucht und ich bin auf „Trommeln in der Nacht“ gestoßen, weil ich den Titel zunächst einmal toll fand und die drei Werke des jungen Brechts ziemlich gerne mag.

Dann ist mir aufgefallen, dass dieses Stück genau der Ursprung dieser Erzählung mit den „Glotz nicht so romantisch“-Plakaten ist. Diese Plakate haben Brecht und Falckenberg, der damalige Regisseur, damals aufgehängt. Das war der entscheidende Weg zum Stück. Was bedeutet es, romantisch zu glotzen? Was bedeutet es, politisches Theater zu machen? So haben wir uns dem Ganzen angenähert.

Es ist auch so, dass wenn wir in München an den Kammerspielen spielen, fast 100 Jahre nachdem die Uraufführung dort stattgefunden hat, dann ist es naheliegend dieser Uraufführung nachzuspüren. Das komplette Bühnenbild ist daher eine Adaption des Originalbühnenbilds. Die Schauspieler haben im ersten Akt kleine In-Ear-Kopfhörer, auf denen sie die Stimmen der Schauspieler von 1922 hören. Sie sprechen mit den Stimmen mit, nicht die Intonation, aber das Tempo. Die Schauspieler bewegen sich beispielsweise auch entsprechend den Geräuschen von Schritten in der Originalaufnahme.

Dieses Historische, was die Uraufführungssituation von vor 95 Jahren an den Kammerspielen bedeutet hat, war dann für mich das perfekte und entscheidende Vehikel, um zu untersuchen, ob die Frage Politik oder Privatleben, das Bett oder die Straße, immer noch ein aktueller Konflikt ist und wie sich diese Frage geändert hat in den letzten 100 Jahren.

Sie haben „Trommeln in der Nacht“ anhand von Skizzen von Brecht weiterentwickelt und eine alternative Version zum Original geschaffen. Haben Sie einen besonderen Druck gespürt, das Werk eines der wohl berühmtesten deutschen Dramatiker zu bearbeiten? Ist es Ihnen wichtig, was Brecht von Ihrer Inszenierung gehalten hätte?

Die Fragen kann ich in einem beantworten. Brecht hat nämlich immer an seinem Ende gezweifelt, war unzufrieden damit, hat es vergeblich versucht umzuschreiben. Ich vermute, dass es daran lag, dass er so sehr verstrickt in sein eignes Werk war.

Als Regisseur ist man zwar auch nahe an einem Stoff dran, aber natürlich nicht so nah, wie ein Autor. Ich dachte die Freiheit, die Brecht im Umgang mit seinem eignen Text nicht hatte, die ihm quasi verboten hat, die Änderungen zu machen, die er machen wollte, die habe ich, weil ich mit 95 Jahren Abstand und nicht als Autor dieses Textes draufgucke. Daher fühle ich mich eher, als hätten wir ihm einen Wunsch erfüllt.

Vor allem haben wir sein anderes Ende nicht ersetzt, sondern wir spielen beide Versionen alternierend. Das heißt es gibt sein Ende noch, aber ich habe das Gefühl, dass Brecht unser Ende ganz gut finden würde.

Claus Peymann hat Berthold Brecht einmal als den „einzigen deutschen Dramatiker von Weltrang“ bezeichnet. Teilen Sie seine Einschätzung?

Nein. Er ist der einzige deutsche Dramatiker mit Weltrang, der mich interessiert. Aber ich würde sagen, Goethe und Schiller sind auch Dramatiker mit Weltrang. Borcherts „Draußen vor der Tür“ ist ebenfalls ein Stück, das überall gespielt wird. Aber meiner Meinung ist Brecht der einzige deutsche Dramatiker aus dem 20. Jahrhundert mit Weltrang.

Ich finde auch, dass es irre ist, dass die Leute etwas Bestimmtes mit Brecht verbinden, sei es in Taipeh, St. Petersburg oder hier in Peking. Es ist nicht nur so, dass sie den Namen kennen wie bei Goethe und Schiller, sondern sie haben eine bestimmte Vorstellung davon, was bei Brecht passiert.

Diese Inszenierung lebt auch extrem stark von der Vorstellung davon, wie Brecht sein soll. Ich finde es frappierend, wie toll das in anderen Ländern funktioniert. Man könnte natürlich auch sagen, okay, Brecht ist ein deutscher Dramatiker, was hat der denn für eine Bedeutung für China? Das scheint aber nicht so zu sein, sondern die Leute kennen Brecht und sie knüpfen bestimmte Erwartungshaltungen an ihn als Autoren. Das finde ich toll, damit zu arbeiten.

Ab dem 11. September beginnt die neue Saison am Züricher Schauspielhaus, erstmals mit Ihnen als Hausregisseur. Was war Ihre Hauptmotivation für den Wechsel von den Münchner Kammerspielen und was erhoffen Sie sich von der neuen Position?

Es ist so, dass wir in München sowieso nächste Spielzeit aufhören, weil der Intendant Matthias Lilienthal nicht an den Münchner Kammerspielen bleiben wird. Das heißt die Zeit in München war ohnehin begrenzt. Für mich ist die Entscheidung nach Zürich zu gehen keine Entscheidung gegen München, weil ich dort nächste Spielzeit trotzdem inszenieren werde.

In Zürich sind mit Benjamin von Blomberg und Nicolas Stemann zwei Künstler Intendanten, mit denen ich schon relativ lange zusammenarbeite. Es gibt dort acht Hausregisseure, die dort fest arbeiten. Ich habe die Erfahrung gemacht in München, dass es gut ist für ein Theater, wenn die Regisseure nicht nur kommen, ihre Arbeit abliefern und abhauen, sondern da bleiben, die Arbeit, das Haus, das Ensemble begleiten.

Ich erhoffe mir eine extreme Bandbreite an ästhetischen, inhaltlichen, zeitgenössischen Handschriften, denn das wird so sein. Wir sind kein Regiekollektiv, aber wir sind halt alle vor Ort. Ich hoffe, dass sich diese sehr unterschiedlichen Handschriften gegenseitig befruchten. 


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