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Regisseur Christopher Rüping: Durch Theater rückt die Welt ein Stückchen näher zusammen (2)

(German.people.cn)

Mittwoch, 17. Juli 2019

  

Was haben Sie neben den spektakulären Schlafpositionen noch mitgenommen von Ihrem Besuch?

Bei dem aufgeführten Stück „Trommeln in der Nacht“ gibt es zwei Enden. Beim einen entscheidet sich der Hauptakteur sich für die Liebe, beim anderen für die Revolution. In Deutschland ist das Publikum bei der Version, wo er sich für die Liebe entscheidet, viel glücklicher - hier ist es andersrum.

Hier hatte ich das Gefühl, dass das Ende, bei dem sich der Akteur für die Revolution, also für den Aufbruch ins Politische und nicht für den Rückzug ins Private entscheidet, die Leute schneller erreicht oder unmittelbarer anfasst. Überhaupt, die Reaktionen in der Emotionalität auf den 4. und 5. Akt am Ende des Stückes sind hier ganz anders als in Deutschland. In Deutschland ist die Idee einer Bewegung, hinter der man sich versammelt, eine romantische, die man mit Abstand genießen kann. Hier hatte ich das Gefühl, ist es eine politische Idee, keine romantische, emotionale Angelegenheit, sondern eine intellektuelle, die deswegen aber eine starke emotionale Antwort produziert.

Wim Wenders war vor einigen Monaten als Regisseur einer Oper in China zu Gast und zeigte sich im anschließenden Gespräch mit dem Goethe-Institut überrascht über den jungen Altersdurchschnitt des chinesischen Opernpublikums. Sind Ihnen beim Theaterpublikum ebenfalls Unterschiede zwischen China und Europa aufgefallen?

Ja, hinsichtlich unseren beiden Performances auf jeden Fall. Ich finde das Publikum extrem jung und wahnsinnig gut informiert. Uns wurde zuvor gesagt, und das gleicht sich mit meiner bisherigen Erfahrung hier im täglichen Leben, dass Englisch ein Problem sei und nicht so schnell funktioniere. Ich hatte jedoch das Gefühl, dass die Leute, die bei unseren Vorstellungen im Theater waren, direkt auf einen englischen Monolog im Stück reagiert haben.

Meiner Meinung nach war es also ein sehr junges, sehr gut gebildetes, interessiertes, neugieriges Publikum. In Deutschland haben wir das zwar auch, aber es mischt sich immer auch mit einem Publikum, was deutlich älter und reservierter ist und was eine vorgefertigte Meinung hat, wie ein Theater funktionieren sollte.

Ich hatte das Gefühl, dass die 2.000 chinesischen Zuschauer, denen wir jetzt in den letzten beiden Tagen begegnet sind, extrem neugierig waren, neugieriger als das deutsche Publikum.

Wie sieht für Sie das perfekte Theaterpublikum aus?

Ich glaube ehrlich gesagt, dass Neugier die entscheidende Eigenschaft ist, die man haben muss, um ein Theaterstück zu genießen. Dann kann man was erleben. Es kann schrecklich sein, es kann toll sein, aber das ist das, was eine Theatererfahrung für ein Publikum reizvoll macht.

Man wünscht sich auch immer, dass ein Publikum von außen betrachtet deutlich diverser ist, als es in Deutschland der Fall ist. Ich würde auch sagen, als es hier ist. Denn die Ticketpreise hier sind deutlich höher als in Deutschland, was auch bedeutet, dass das Angebot, das Theater zu besuchen viel höherschwelliger ist als in Deutschland. Deswegen glaube ich, dass man immer eine bestimmte Schicht, ein halbwegs wohlhabendes, gut gebildetes Bürgertum erreicht. Ich weiß nicht, ob es hier auch so war, aber von den Ticketpreisen her zu urteilen würde ich sagen, ja.

Meiner Erfahrung nach spielt man, in Deutschland zumindest, normalerweise vor einem rein weißen Publikum mit einem Altersdurchschnitt von 45 Jahren aufwärts. Da würde ich mir mehr Diversität wünschen. Aber ein Publikum kann ja nicht selber entscheiden, wie divers es ist, es kommt halt darauf an, wie es sich zusammensetzt.

Die entscheidende Eigenschaft ist jedoch Neugier.

Einige Ihrer Inszenierungen wurden bereits an ganz unterschiedlichen Orten auf der Welt aufgeführt, außerhalb des deutschsprachigen Raums beispielsweise auch in Teheran und St. Petersburg. Nun haben Sie eines Ihrer Stücke in Beijing präsentiert. Welchen Stellenwert haben diese internationalen Aufführungen für Sie?

Ich freue mich über Publikum insgesamt, auch wenn wir in Deutschland spielen, aber das ist natürlich schon etwas Besonderes. Was an Theater so eine wunderbare Schizophrenie ist, dass man sehr analog produziert: An einem Ort, mit einer bestimmten Gruppe von Menschen, für eine bestimmte Zeit, für einen bestimmten Raum, für eine bestimmte Stadt, für ein bestimmtes Publikum.

Mit dieser lokalen Besonderheit fährt man dann ans andere Ende der Welt, nach Peking, nach Taipeh, nach St. Petersburg, nach Teheran, wie auch immer. Damit setzt man einen Teil aus der einen Welt in eine völlig andere Welt hinein. Für einen Moment rückt die Welt ein Stückchen näher zusammen. Ich finde das kann man förmlich spüren. Für die zwei Stunden der Aufführung ist es dann wie ein Loch im Raum-Zeit-Kontinuum, in dem plötzlich eine Begegnung stattfindet, die ohne dieses Stück für diesen Moment nicht stattgefunden hätte.

Sind Sie bei solchen Aufführungen nervös, ob sich ein Stück vom Lokalen ins Internationale transportieren lässt?

Nicht nervös, neugierig. Also genau das Gleiche, was ich mir von dem Publikum wünsche, will auch ich für ein Publikum sein, nämlich neugierig auf die Reaktionen. Nervös bin ich hinsichtlich technischer Unwägbarkeiten. Zum Beispiel ist es für mich gar nicht so einfach zu wissen, dass mein Stück übertitelt wird in einer Schrift, die ich nicht lesen kann, mit Worten, die ich nicht verstehen kann. Ich weiß nicht, was da steht. Als Regisseur neigt man ja immer zum Kontrollzwang und das ist für mich eine schwere große Unbekannte, an der ich immer ein bisschen zu knabbern habe.


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