Deutsche gelten als sehr gründlich. Ist diese flexible Planung für Sie manchmal nicht unwahrscheinlich mühsam?
Ich habe inzwischen einen höheren Grad an Flexibilität entwickelt und gelernt, damit umzugehen. Dazu gehört auch, dass diese Gründlichkeit nicht immer sichtbar sein muss. Das Ergebnis hingegen muss stets eine Punktlandung sein, in der alle Detailaspekte enthalten sind. Um das zu gewährleisten, ist in China allerdings ein wesentlich größerer Aufwand erforderlich. Man muss während der Projektentwicklung immer wieder ganz klar kommunizieren, wie das Ergebnis auszusehen hat.
Auch das Frauenbild ist in China anders als in Deutschland: Wie reagieren chinesische Geschäftsmänner auf Sie? Gab es Ihnen als Frau gegenüber anfänglich Vorbehalte?
Ich habe mir diese Frage nie gestellt. Und wenn man sie nicht stellt, spielt sie auch keine Rolle. Aber ich habe auch nie negative Erfahrungen gemacht. Die Rolle der Frau – speziell im geschäftlichen Bereich – wird in China im Vergleich zu Deutschland als viel natürlicher angesehen. In Deutschland ist das Frauenbild leider immer noch sehr familiär geprägt.
Zu Ihren Aufgaben als Unternehmensberaterin gehört auch die Entwicklung von Strategien. Wie sieht eigentlich Ihre eigene Karriereplanung aus?
Über die letzten Jahre hinweg habe ich zusammen mit meinem Team immer mehr rein strategische und auch außergewöhnliche Projekte gemacht. Insofern ist es mein Wunsch, dass wir noch mehr solche herausfordernde, strategischen Aufgaben bearbeiten. Neben dieser kontinuierlichen qualitativen Steigerung und inhaltlichen Vertiefung von Aufgaben wünsche ich mir eine Flexibilisierung, was den jeweiligen Aufenthaltsort anbelangt. Das empfinde ich als perfekte Lebensqualität.
Wo wird man Sie in Zukunft häufiger antreffen: Hier in Beijing oder in Berlin?
Ich kann überall arbeiten, wo ich ins Internet kann. Ich muss nur immer die Zeitzonen im Blick haben. Im letzten Jahr habe ich eine große Recherchereise gemacht und mir noch einmal Australien und Neuseeland genauer angesehen. Schließlich gehören diese Länder ja auch zum asiatisch-pazifischen Raum. Telefonate zwischen Deutschland, China und Neuseeland gestalteten sich aufgrund der Zeitverschiebung zwar nicht ganz einfach, doch mein Team und ich haben auch diese Herausforderung gemeistert.
Deutschland, China, Australien oder Neuseeland: Wo fühlt sich Marianne Friese denn am ehesten zu Hause?
Das ist die schwierigste Frage des gesamten Interviews (lacht). Nach chinesischer Auffassung ist mein Zuhause Stuttgart, weil meine Eltern dort leben. Ganz ehrlich gesagt fühle ich mich in Stuttgart aber am wenigsten verwurzelt, da ich schon 1986 weggegangen bin – und zwar mit dem klaren Vorsatz, nicht zurückzukehren. Obwohl das Schwabenland, zu dem Stuttgart ja bekanntlich gehört, ein wunderschöner Ort ist, fühle ich mich in der weiten Welt am wohlsten.
Woher kommt das?
Man sagt, dass es zwei Arten von Schwaben gibt: Die „Hock-Schwaben“, die ihre Heimat nie verlassen, und die „Wander-Schwaben“. Ich weiß nicht, warum es diese „Wander-Schwaben“ gibt, und auch nicht, warum ausgerechnet ich eine von ihnen bin, aber ich glaube, dass ich mich in meinem Leben noch an vielen Orten heimisch fühlen werde. Im Moment fühle ich mich in Berlin und Beijing gleichermaßen zu Hause. Beide Orte sind meine Heimat – im Moment zumindest.