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Zuviel Design kann tödlich sein (2)

(German.people.cn)
Mittwoch, 16. Dezember 2015
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Ihr Studio wurde von der renommierten Zeitschrift „Architectural Digest“ im vergangenen Jahr bereits zum zweiten Mal zu den Top 100 in China gekürt. Wie erklären Sie sich diesen Erfolg?

Diese Auszeichnungen kamen für uns sehr überraschend. Vermutlich hat unser Erfolg damit zu tun, dass wir ein Nischenprodukt anbieten, das sich komplett von den Angeboten anderer Firmen unterscheidet. Wir von „Momentum“ sind sehr leger. Wir lieben das Einfache, und fragen uns, ob es wirklich so viel Design sein muss? Und ob Design nicht irgendwo auch überbewertet ist? Dieser Stil kommt bei einigen ganz offenbar an. Ich denke, dass „Architectural Digest“ mit seiner Auswahl darüber hinaus zeigen wollte, dass auch kleine Betriebe tolle Arbeit leisten können.

Das Schul- und Ausbildungssystem in China unterscheidet sich stark vom deutschen. Was für Erfahrungen haben Sie bislang mit Ihren chinesischen Angestellten gemacht?

Ich habe in meiner Zeit hier gelernt, dass es in China eigentlich keine schlechten Zeichner gibt, sondern bloß schlecht eingesetzte. Allerdings werden hier in der Ausbildung ganz andere Schwerpunkte gesetzt. Im Allgemeinen bin ich mit meinen Angestellten aber zufrieden. Um sicherzustellen, dass ein Bewerber auch zu uns passt, darf er nach einem erfolgreichen Interview immer eine Woche lang probeweise bei uns arbeiten. In dieser Zeit kann man ganz gut herausfinden, wie eine Person tickt und ob sie auch über das notwendige Rüstzeug verfügt beziehungsweise ob sie auch Gefallen an dem findet, was wir machen.

Stichwort „ticken“: Was sind die größten Herausforderungen, die sich in Ihrem Arbeitsalltag aus den unterschiedlichen Mentalitäten ergeben?

In China wird häufig ohne zu reflektieren stur auf ein Ziel hingearbeitet. Das zeigt sich etwa beim Zeichnen mit dem Computer. Nicht jeder Copy-Befehl hat die gleiche Effizienz. Darum ist es extrem wichtig, dass man sich am Anfang eine genaue Vorgehensweise zurechtlegt. Anstatt zuerst kurz nachzudenken, arbeiten meine Angestellten oft einfach drauflos. In diesem Bereich beispielsweise sehe ich nach wie vor große Lücken. Auch der Wartungsgedanke ist hier nur sehr schwach ausgeprägt. Das Fahrrad ist ein gutes Sinnbild hierfür. Selbst wenn die Kette quietscht, wird hier fröhlich weitergefahren. Lieber nervt man sich und andere, als dass man zum Ölkännchen greift und sich das Leben erleichtert. Bei aller Kritik darf man aber auch nicht vergessen, dass das moderne China noch sehr jung ist. Kein Mensch kann innerhalb einer Generation alles lernen und umkrempeln. Vieles braucht einfach noch seine Zeit.

Wie verhält es sich bei der Farbwahl und Ästhetik in Designfragen? Chinesen mögen es gerne bunt und kombinieren oft Farben, die aus westlicher Sicht nicht zusammenpassen.

Es ist tatsächlich so, dass Chinesen gerne mit Extremen arbeiten – sei es mit Farben, Licht oder auch mit Musik. Wir sind das so nicht gewohnt. Diskussionen über die Farbwahl und den Stil sind bei uns aber trotzdem selten, weil ich jeweils das Grundkonzept ausarbeite. Zudem kennen meine Mitarbeiter meine Vorstellungen inzwischen schon ganz gut. Diskussionen entstehen eher über den technischen Weg der Umsetzung.

In Ihrem selbst designten Studio finden sich eine Pflanzenwand und viele weitere ungewöhnliche Eigenkreationen. Woher holen Sie sich Ihre Ideen?

Ich muss zu meiner Schande gestehen, dass ich seit 20 Jahren auf keiner Messe mehr war – auch nicht auf der Expo. Bücher sind schon eher eine Inspirationsquelle. Auch auf dem Schrottplatz finde ich immer wieder Gegenstände, deren Formen oder Beschaffenheit mir neue Anregungen geben. Die meisten Ideen kommen mir aber erst beim Skizzieren, weil das Raumempfinden sehr wichtig für mich ist.

Was für eine Rolle spielt für Sie als Innenarchitekt Feng Shui? Müssen Sie die „Lehre von Wind und Wasser“ in Ihre Projekte miteinbeziehen?

Feng Shui ist für unsere Planung tatsächlich sehr wichtig. Bevor wir mit einem Kunden einen Vertrag abschließen, stellen wir ihm immer zuerst die Frage: „Müssen wir auf einen Feng-Shui-Meister Rücksicht nehmen: Ja, nein oder ein bisschen?“ Wenn wir von Anfang an wissen, dass der Kunde voll hinter Feng Shui steht, kann man mit dem Feng-Shui-Meister zusammen spannende Konzepte entwerfen. Antwortet der Kunde hingegen mit einem „Jein“, dann wird es in der Regel kompliziert. Ebenfalls schwierig wird es, wenn der Kunde sein ursprüngliches „Nein“ nach Fertigstellung des Entwurfs plötzlich ändert und einen Feng-Shui-Meister hinzuzieht.

Wie stehen Sie persönlich zu Feng Shui?

Ich habe große Achtung vor der jahrtausendealten chinesischen Kultur und daher auch kein Problem mit Feng Shui. Wenn ein Feng-Shui-Meister gewünscht wird, dann sollte er aber von Anfang an miteinbezogen werden. Dass es bei der Raumanordnung gewisse Wertigkeiten gibt, das wurde uns auch an der Fachhochschule in Deutschland beigebracht. Von daher ist dieses Thema nicht ganz neu für mich. Wenn jetzt aber ein Kunde mit einem speziellen Feng-Shui-Messband kommt und sagt, die Türöffnung müsse exakt 198,76 Zentimeter hoch sein, dann wundere ich mich schon mal. Falls der Kunde das wirklich so haben will, dann machen wir das natürlich. Meiner Meinung nach geht das jedoch ein bisschen weit – speziell wenn man dann die oftmals gegensätzliche Lebensweise der Kunden kennenlernt.

Was kostet so ein Feng-Shui-Meister?

Ein Feng-Shui-Meister bekommt in der Regel eine einhundertprozentige Vorabzahlung. Das sind Beträge, über die man eigentlich nur den Kopf schütteln kann im Vergleich zu dem, was wir für unsere vielen Zeichnungen erhalten.

China gilt in Architekturkreisen als neues „Eldorado“. Ist die Volksrepublik für Sie als Innenarchitekt auch das Land der Träume?

Ich würde nicht von einem „Eldorado“ sprechen. Sicherlich ist die Vielzahl an Projekten hier in China ganz anders als in Deutschland, wo die Dichte an Architekten und Innenarchitekten sehr hoch ist. Deutschland hat vor zehn Jahren so viele Architekten und Innenarchitekten ausgebildet wie ganz Europa zusammen. Die müssen jetzt den Kuchen untereinander aufteilen. Hier in China ist das noch nicht so extrem. Zudem hat man hier als Gestalter mehr Freiraum, man muss weniger auf die Stadtplanung achten. Umgekehrt verhindern die Zeitvorgaben der Chinesen oftmals, dass man gestalterisch wirklich in die Tiefe gehen kann. Alles muss möglichst schnell fertig werden. Meiner Meinung nach haben wir Architekten eine höhere Verantwortung für das Umfeld, das wir schaffen, als man uns in China zugesteht. Für mich ist aber auf jeden Fall ein Wunsch in Erfüllung gegangen. Als ich mit meinem Studium anfing, hätte ich mir nie träumen lassen, dass ich eines Tages ein eigenes Studio haben würde, das mir auch noch Freizeit für ein erfülltes Leben ermöglicht, Leute einstellen könnte und mit meiner Arbeit auf ein Titelbild kommen würde.

Bei den meisten Ihrer Projekte handelt es sich um private Innenausbauten. Was wünscht oder erhofft sich Ihre Kundschaft von Ihnen?

Viele wünschen sich einen Anstoß, um ihr Harmoniefeld verlassen und in etwas Anderes eintauchen zu können. Einige suchen vielleicht auch eine Art Vertrauensperson, weil sie gar nicht wissen, was sie eigentlich wollen. Die Innenarchitektur ist wie ein Theater. Meine Kunden sind die Akteure, die ihr Leben auf die Bühne bringen. Als Innenarchitekt ist es meine Aufgabe, das Bühnenbild für sie zu gestalten. Und zwar so, dass sie sich darin entfalten können. Das Bühnenbild darf für mich nie im Vordergrund stehen.

Was für „Bühnenbilder“ wünschen sich Herr und Frau Chinese denn so?

Das ist ganz unterschiedlich. Jemand, der sich einen italienischen Landhausstil oder etwas Orientalisches wünscht, der ist bei mir an der falschen Adresse. Für so ein Dekor sind andere Innenarchitekten besser geeignet als ich. Mir ist wichtig, dass es in einem Haus immer auch Flächen gibt, die dem Kunden Raum zur Weiterentwicklung gewähren. Es darf nicht alles mit Design zugepflastert sein. Wenn ein Haus beim Einzug bereits komplett eingerichtet ist, dann sind die Akteure ja schon tot.

Sie haben auch schon für Europäer Wohnräume gestaltet. Unterscheiden sich deren Wünsche und Vorstellungen stark von jenen Ihrer chinesischen Kundschaft?

Die Ansprüche sind eigentlich ziemlich gleich. Bei chinesischen Kunden vermisse ich manchmal jedoch ein wenig das Vertrauen in den Innenarchitekten. Bei der Farb- und Möbelwahl beispielsweise vertrauen viele lieber auf ihre Freunde, obwohl die gar keine Ahnung von der Materie haben. Das ist sehr unangenehm für uns, weil es nicht eingeplante Änderungen nach sich ziehen kann. Kaum haben wir die gewünschten Anpassungen vorgenommen, müssen wir erneut etwas ändern, nur weil ein anderer Bekannter des Kunden das Gefühl hat, dies und jenes passe nicht. Um das Gesamtbild verwirklichen zu können, muss man sich für eine Linie entscheiden und ihr danach treu bleiben. Kunden aus dem Westen lassen sich meiner Erfahrung nach eher auf den Innenarchitekten ein.

Was war Ihr bisher ausgefallenster Kundenwunsch in China?

Eines meiner bislang außergewöhnlichsten Projekte war die Gestaltung einer 700 Quadratmeter großen Etage in einem Universitätsgebäude. Der Dekan wollte ein kreatives Design, weil er die Innenbereiche von chinesischen Universitäten als langweilig empfand. Wir haben dann mit vielen transparenten Elementen eine Erlebniswelt für die Studierenden geschaffen. In die Klassenzimmer haben wir unter anderem elektronische Glasscheiben eingebaut, die auf Knopfdruck durchsichtig werden. Wenn die Scheiben auf transparent geschaltet sind, sieht man vom Korridor aus, was in den Zimmern vor sich geht. Mit dem Design wollten wir Licht in die Anonymität des Studierens bringen. Neben Glas haben wir auch viel Bambus verwendet, so dass das Ganze auch in 15 Jahren noch gut aussieht. Leider wurde der Dekan versetzt, bevor die Möbel in Auftrag gegeben werden konnten. Daher steht jetzt die ganze Etage leer, obwohl sie eigentlich bezugsbereit wäre.

Den Traum eines eigenen Studios haben Sie sich bereits erfüllt. Von was für einem Projekt träumt Arnd Christian Müller noch?

Mein Innenarchitektur-Traum ist es, in einer tollen Landschaft – sei es in den Bergen von Beijing, an der Küste von Spanien oder in Südfrankreich – entweder etwas Neues zu schaffen oder etwas Altes umzubauen. Eine geistreiche Wohlfühloase, in die ich mich zurückziehen kann, um zu lesen oder an einem Kunstprojekt zu arbeiten. Das ist mein Traum. Hoffentlich geht er wie das Studio in Erfüllung (lacht).


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