Die Angst Spartas vor dem Aufstieg Athens führte in der Antike zum Krieg. Nach Ansicht des bekannten US-Politologen Joseph Nye trifft diese historische Analogie jedoch nicht auf die Beziehungen zwischen China und den USA von heute zu.
In einem Exklusivinterview mit der Parteizeitung People's Daily vertritt Nye die Meinung, dass China und die USA die „Thukydides-Falle“ gänzlich vermeiden können, wenn die beiden Länder ihre Kommunikation auf allen Ebenen verstärken und in ihren Beziehungen objektiv und rational vorgehen. Mit „Thukydides-Falle“ ist ein Szenario gemeint, das zu einem Krieg führen kann, weil sich eine etablierte Großmacht vor einer aufsteigenden Macht fürchtet. China sei ein kooperativer Partner, der die internationale Ordnung nicht herausfordere, sondern vervollkommne, so Professor Nye. Die „Thukydides-Falle“ könne für die sino-amerikanischen Beziehungen daher ausgeschlossen werden.
Über die Beziehungen zwischen China und den USA sei auch schon in der Vergangenheit viel diskutiert worden. Einige würden die Meinung vertreten, dass ein Konflikt infolge des Konkurrenzkampfs zwischen den beiden Großmächten unvermeidbar sei. Nye verweist auf Professor David Lampton, ein amerikanischer China-Experte, der die sino-amerikanischen Beziehungen einst als „kritischen Punkt“ bezeichnet hat. Nye selbst hält diese Bezeichnung für übertrieben.
Stattdessen ist Nye überzeugt, dass der Grund für den berühmten Krieg zwischen Athen und Sparta in der Antike darin lag, dass Athen immer stärker wurde und Sparta davor Angst hatte. Die Beziehungen zwischen China und den USA aber seien ganz anders. Die historische Analogie greife viel zu kurz. „Der Austausch zwischen China und den USA nimmt auf allen Ebenen immer stärker zu“, sagt Nye. „Auch Studenten und Touristen aus China tragen dazu bei, dass keine Ängste aufkommen. Daher können China und die USA die „Thukydides-Falle“ auch verhindern.“
Nye rechnet auch nicht damit, dass die USA durch Chinas wachsenden Einfluss an internationaler Bedeutung verlieren werden.
Als typisches Beispiel für die Differenzen zwischen den beiden Großmächten nennt Nye die Internetsicherheit. In diesem Punkt müssten die beiden Länder mehr kooperieren, anstatt sich mit Argwohn zu beäugen, findet der Politologe. Es fehle noch am gegenseitigen Vertrauen.
Nye erklärt weiter,das von Experten oft gemalte chinesische Bedrohungsszenario sei übertrieben. Es sei ein Leichtes, radikal auf Chinas Entwicklung zu reagieren, wenn man Chinas historischen Hintergrund und Entwicklung außer Acht lasse.
(Text von Zhang Penghui, People's Daily)