Nach einem Knaben in Nanjing wurde jetzt auch ein Mädchen aus Anhui Opfer von häuslicher Gewalt. Während die Behörden im jüngsten Fall von elterlicher Züchtigung sprechen, fordern Juristen dringend eine Revision des Kinderschutzgesetzes.
Im bevölkerungsreichsten Land der Welt sorgt momentan der Fall eines Mädchens für Aufsehen, das von seinen Eltern mit Schlägen gezüchtigt wurde. Die 11-Jährige aus der ländlichen Provinz Anhui soll sich bei der Züchtigung durch ihre Mutter Verletzungen am Kopf, der Schulter, den Beinen und an den Füßen zugezogen haben.
Lokalen Medienberichten zufolge haben die Lehrer am Körper des Mädchens aus der Stadt Lu'an immer wieder neue Verletzungen entdeckt. Die 11-Jährige soll sich aber stets geweigert haben, über das Zustandekommen dieser Verletzungen zu sprechen.
Am Donnerstag gab die Polizei bekannt, dass das Mädchen mehrmals von seiner Mutter geschlagen worden war. Einmal angeblich, weil es fünf Minuten zu spät zu Hause erschien.
Die lokale Regierung will von vorsätzlicher Misshandlung jedoch nichts wissen. Die Verletzungen des Mädchens seien das Resultat von „Unvorsichtigkeit“ bei der Disziplinierung, erklärte Zheng Deyue von der Öffentlichkeitsabteilung der Regierung von Lu'an. „Es ist in China üblich, dass Eltern von der körperlichen Bestrafung Gebrauch machen. Den Eltern kann das Sorgerecht aufgrund dieser körperlichen Bestrafung nicht entzogen werden“, so Zheng. Zugleich warnte der Regierungsbeamte vor dem negativen Einfluss der Presse: „Eine zu starke Medienaufmerksamkeit wird zu einem Zerwürfnis zwischen dem Mädchen und seinen Eltern führen und Unglück über die Familie bringen.“
Laut Zheng ist der Vater des misshandelten Mädchens körperlich behindert und seine Mutter ohne regelmäßige Arbeit. Inzwischen soll zur Unterstützung des Mädchens ein psychologischer Experte einer lokalen Universität beigezogen worden sein.
Die Misshandlung der 11-Jährigen aus Anhui ist kein Einzelfall. Anfangs April hat bereits der Fall eines Knaben aus Nanjing, dem Hauptort der Provinz Jiangsu, landesweit für Aufsehen gesorgt. Der 9-Jährige war von seiner Adoptivmutter verprügelt worden. Die Frau wurde verhaftet.
Der Ruf der chinesischen Öffentlichkeit nach einer Revision des Kinderschutzgesetzes wird immer lauter. In Fällen von Kindesmisshandlung gelte in China das Prinzip „Wo kein Kläger, da kein Richter“, erklärt Zhang Feifeng, der als Anwalt die Interessen des Nanjinger Frauenverbands vertritt. Solange ein Opfer schweige, würden die Justizbehörden nichts unternehmen. „Kinder sind in der Regel nicht in der Lage, sich selbst zu schützen. Oft wagen sie es auch nicht, anderen zu erzählen, was ihnen angetan wurde, wenn es sich bei den Tätern um ihre Erziehungsberechtigten oder andere enge Bezugspersonen handelt“, sagt Zhang.
Nach dem aktuellen Gesetz sind die Gerichte in China auch nicht verpflichtet, den psychischen Schaden, den ein Kind durch physischen Missbrauch erleidet, in ihre Urteile miteinzubeziehen. „In einem Fall kam ein Lehrer ohne Strafe davon, weil Ärzte am Körper des Opfers keine ernsthaften Wunden gefunden haben“, so Zhang. Der Anwalt fordert daher, dass das chinesische Kinderschutzgesetz dringend überarbeitet wird.
Für das 11-jährige Mädchen aus Anhui und den 9-jährigen Knaben aus Nanjing dürfte das ein schwacher Trost sein.