×
×
        Über uns
WAP/PAD
Startseite>>Politik und Wirtschaft

Transatlantische Beziehungen nach Trumps Sieg in der Schwebe

(German.people.cn)
Dienstag, 15. November 2016
Folgen Sie uns auf
Schriftgröße

Die EU reagiert hektisch auf bevorstehende Änderungen der US-amerikanischen Außenpolitik, die in wichtigen Fragen konträr zu Positionen der größten Europäischen Nationen stehen dürfte. Eine Chance für die Stärkung europäischer Unabhängigkeit oder Beschleunigung ihrer Zersetzung?

Der Sieg Donald Trumps bei den Präsidentschaftswahlen wurde in Europa nicht begrüßt. Der neue US-Präsident wird weitgehend als atypischer Politiker betrachtet, der die transatlantische Partnerschaft gefährden könnte. Die EU leitet aus seiner politischen Rhetorik eine direkte Bedrohung ab. Insbesondere aufgrund fünf verschiedener Gründe ist sie äußerst besorgt.

Erstens schätzt Trump Europas Rolle in der Welt nicht. Er scheint zögerlich, die Bedeutung der EU im internationalen System zu erkennen, und wird der EU-Position bezüglich mehrerer außenpolitischer und ökonomischer Fragen nicht notwendigerweise Aufmerksamkeit schenken, damit vielleicht das Prinzip des Multilateralismus herausfordern.

Zweitens glaubt er nicht an die Zukunft einer weiteren europäischen Integration. Er unterstützte beim Referendum vom 23. Juni den Brexit, behauptete, dass Großbritannien ohne Rücksicht auf die EU erfolgreich seinem eigenen Kurs folgen könnte.

Drittens setzt sich der 45. US-Präsident größtenteils über die wirtschaftlichen und geopolitischen Implikationen der europäischen Schuldenkrise und einem potenziellen Zerfall der Eurozone hinweg. Als im Juli 2015 Griechenlands Verbleib in der Eurozone auf dem Spiel stand, bestand er zum Beispiel darauf, dass es sich fast ausschließlich um ein Problem Deutschlands handele, ignorierte offensichtliche US-amerikanische Sicherheitsinteressen und die Mitgliedschaft im IWF.

Viertens hat Trump die Bedeutung der NATO in der internationalen Politik infrage gestellt. Bei seinen öffentlichen Reden signalisierte er, dass Washington kein Allheilmittel für ihre Sicherheitsprobleme sein wird, verlangte von den Verbündeten in Europa eine Erhöhung ihrer Verteidigungsausgaben.

Fünftens hat der Nachfolger von Barack Obama im Weißen Haus die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) zurückgewiesen. Obwohl nicht er alleine für den bereits vorliegenden Stillstand verantwortlich ist, wird seine Präsidentschaft diesen ehrgeizigen Plan fast sicher begraben.

Parallel zu diesen fünf Gründen sieht die EU auch in der politischen Rhetorik Trumps eine indirekte Bedrohung. Sein Versprechen, sich mit Russland auf diplomatischer Ebene zu verständigen und einen Versuch zu unternehmen, mit seinem russischen Kollegen Wladimir Putin zusammenzuarbeiten, führte in Brüssel zu Skepsis. Obwohl nicht alle europäischen Länder mit der zähen und aggressiven Linie gegenüber Moskau einverstanden sind, wurde die Grundposition der EU entsprechend geformt und drängt zur Isolierung des Kremls.

Auch Trumps Zusage für eine Vergrößerung der militärischen US-Präsenz im Südchinesischen Meer verursachte in der EU große Besorgnis über die zukünftigen Folgen für die regionale Stabilität und Friedenswahrung. Die meisten EU-Mitgliedsstaaten wollen sich nicht in einen wachsenden Antagonismus zwischen China und den USA einmischen, bevorzugen ruhige diplomatische Lösungen. Eine Aufforderung Trumps an die EU, eine klare Stellung bezüglich des Südchinesischen Meeres einzunehmen, würde sie in eine unangenehme Zwickmühle der Notwendigkeit zur Priorisierung ihrer traditionellen Sicherheitspartnerschaft mit den Vereinigten Staaten über ihre harmonische Wirtschaftskooperation mit China oder umgekehrt bringen.

Nachdem das Ergebnis der US-Präsidentenwahl bekannt gegeben wurde, begann die EU über eine Antwort nachzugrübeln. In der öffentlichen Meinung herrscht Pessimismus vor.

Eine Umfrage des deutschen TV-Senders ZDF demonstriert etwa, dass 65 Prozent der Befragten einen Verfall der bilateralen Beziehungen mit den USA erwarten und 60 Prozent glauben, dass mehr Regionalkonflikte ausbrechen werden.

Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel bewegt sich allerdings weg von der Emotionalität. Sie gratulierte Trump beinahe unverzüglich zu seinem Sieg und regte zu „enger Zusammenarbeit“ an. Sie behandelte auch ausführlich spezifische Maßnahmen zur Gewährleistung der Sicherheit auf dem Alten Kontinent. In Kooperation mit Frankreich und seinem Präsidenten François Hollande sowie ihren Verteidigungsministern schlug sie eine Verteidigungsunion vor.

Theoretisch kann die Wahl Trumps die Entscheidungsfindung auf EU-Ebene beschleunigen. Die Angst vor einer neuen Krise der transatlantischen Beziehungen könnte ein Sprungbrett sein, Tabus brechen, die Synthese fördern und zu einer tieferen Integration führen. Aber die politische Wirklichkeit hält sich nicht an theoretisches Wunschdenken. Der Sieg Trumps ist ein weiterer Beweis der Tendenz vieler Weltbürger für die Bevorzugung nonkonformistischer Kandidaten und systemkritischer Politikalternativen gegenüber dem Status quo und herkömmlichen Optionen.

Die nächsten Monate sind kritisch für Europa, da mehrere Wahlen stattfinden und möglicherweise politische sowie wirtschaftliche Instabilität verursachen werden. Das italienische Referendum und die österreichische Bundespräsidentenwahl werden im Dezember die ersten Tests sein. Die französische Präsidentenwahl und die deutsche Bundestagswahl im Mai und September 2017 stellen die folgenden und wichtigeren Herausforderungen dar. Noch beunruhigender für die Zukunft Europas ist die Tatsache, dass keine Vorhersagen gemacht werden können, und dass neue unerwartete Entwicklungen die Situation weiter verwirren könnten.

Der Autor, George N. Tzogopoulos, ist Dozent am European Institute in Nizza, Frankreich.

Folgen Sie uns auf Facebook und Twitter !
German.people.cn, die etwas andere China-Seite.
Copyright by People's Daily Online. All Rights Reserved.