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Ein Fremder tippelt durch China (2/4)

(German.people.cn)
Freitag, 28. Oktober 2016
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Link zum ersten Teil: <Kapitel I: Der Ruf ins Abenteuer>

Kapitel II: Die Reise beginnt

Daniel Sattler Anfang Oktober vor dem „Himmelstor“ im Waldpark Tianmenshan der südchinesischen Provinz Hunan.

People’s Daily Online: Was war dein erstes Ziel deiner Wanderschaft, nachdem du deinen Heimatort verlassen hattest?

Ich kann mich an den Tag nicht so wirklich erinnern. Aber traditionell begräbst du, bevor du losgehst, eine halbe Flasche Schnaps. Scotch Whiskey „Glenfiddich“, zwölf Jahre. Die halbe Flasche habe ich getrunken, von daher weiß ich von dem ersten Tag absolut überhaupt nichts mehr. Wir sind dann Richtung Norden.

Könntest du kurz erläutern, was ein Fremder ist und ob du dich auch als Fremder bezeichnest?

Fremder ist jemand der unterwegs ist. Wenn ich Briefe oder irgendwelche Dokumente unterschreibe, füge ich einen kleinen Titel unten drunter: Fremder freireisender Tischlergeselle. Oder wenn ich einen anderen Wandergesellen treffe, sage ich: „Daniel, fremder Freireisender.“

Wir sagen fremdgeschrieben, denn du schreibst dich fremd, wenn du losgehst. Wenn du wieder da bist, schreibst du dich einheimisch. Heute hast du das Einwohnermeldeverzeichnis, damals hatten die eine Liste. Da war es ja wirklich so, dass jeder, der eine Ausbildung abgeschlossen hatte, musste los. Das heißt, sie haben dich auf einer Rolle fremdgeschrieben. Das heißt, sie haben ein Verzeichnis gehabt, wer weg ist. Danach wurdest du einheimisch geschrieben, da haben sie geguckt, wer von den Fremden ist jetzt wieder zurückgekommen.

Wie ging es weiter mit deiner Wanderschaft nach der ersten Zeit?

Normalerweise ist es so, dass du das erste Jahr in Deutschland bleibst oder im deutschsprachigen Raum, dann im zweiten Jahr in Europa und im dritten Jahr dann weltweit.

Es gibt einige Dokumente, dass Wandergesellen im 16., 17. Jahrhundert nach Italien gelaufen sind, um dort den Winter zu verbringen, weil es in Deutschland kalt war. Es war schon damals durchaus üblicher den deutschsprachigen Raum zu verlassen.

Mir habe ich relativ schnell gesagt: „Ich will jetzt hier weg. Wird auch jetzt Winter hier in Europa.“ Hatte keine große Lust noch in Europa rumzuhängen. Ich war vor ein paar Jahren schon einmal in Australien gewesen. Das hat es mir eigentlich ganz gut gefallen, deswegen wollte ich noch mal nach Australien.

Wir haben dort relativ schnell um Arbeit angefragt und hatten ein bisschen Glück. Beim ersten Mal als ich in Australien war, da hatte ich einen Vorarbeiter gehabt, mit dem kam ich ganz gut klar. Dem habe ich gesagt: „Ich komme jetzt.“

Ich konnte dann die ersten paar Tage bei ihm bleiben und habe dann für seinen Nachbarn was gebaut. Während ich dort war, habe ich geguckt, wer vielleicht sonst noch Arbeit hat in Sydney.

Wollte dort dann vier oder fünf Monate bleiben, so genau hatte ich mich nicht festgelegt. Bin dann zwölf geblieben.

Hattest du anfangs Schwierigkeiten auf deiner Wanderschaft?

Am Anfang denkst du dir: „Oh, warum gucken dich alle Leute so an?“ Du stichst raus. Und ich war da noch schüchtern. Du musst dich ja auch drum kümmern, was passiert. Du kannst nicht einfach irgendwo in der Ecke sitzen und vor dich hin dümpeln. Du musst ja wirklich auf die Leute zugehen. Das sind so Sachen, da musst du einfach über deinen Schatten springen.

Das war am Anfang viel, wo der Sebastian dann meinte: „Komm, geh mal hin und frag den, ob du heute Nacht bei dem pennen kannst!“ „Das kann ich doch nicht! Ich kann doch da nicht hingehen!“ „Geh mal hin und frag, ob du das Bier umsonst kriegst! Hol mal ein paar Bier!“ So Sachen, wo du dich wirklich auch schämst, irgendwelche Leute anschnorren. Da lacht man heute drüber.

In Australien guckt dich jeder an, aber auf der anderen Seite hat es auch etwas sehr Befreiendes, wo du sagen kannst: „Ich bin mal weg.“

Wie bist du dann mit deiner Schüchternheit umgegangen?

Das sind auch viele Erfahrungen, die ich gemacht habe. Direkt in Sydney habe ich super nette Leute kennengelernt. Ich bin die Straße lang gelaufen und auf einmal kam einer aus dem Café raus und meinte: „Hey, du bist deutsch! Komm hoch, wir trinken ein Bier!“ Was kann schief gehen?

Und die haben gemeint: „Dieses verrückte Festival in zwei Wochen, du musst einfach mitkommen. Du musst einfach!“ „Ich weiß nicht, ob ich da so wirklich reinpasse, aber ich komme mal mit. Kein Problem!“

Also es war im Nirgendwo. Da sind Bäume, ich würde es nicht Wald nennen, aber es sind Bäume da. Dann waren wir da fünf Tage, komplett abgefahren, nur Party. Burning Seed. Das war eine richtige Augenöffnung.

Ich finde, man sollte alles wenigstens mal probiert haben, dann weiß man, wie es ist.

Fällt es nicht auch manchmal schwer, wieder weiterzuziehen?

Eigentlich nicht, weil du weißt, du lässt was zurück. Ich finde das irgendwie schön.

In Neuseeland habe ich einen Bus umgebaut. Da hat einer einen 30-Sitzer 1956er Bedford-Bus auf seinem Grundstück, den er als Gästezimmer benutzen möchte oder jetzt als Bed and Breakfast. Das war jetzt das wirklich das beste Projekt was ich hatte.

Den habe ich auch durch Zufall getroffen. Eigentlich wollte ich nach Karamea – ganz im Norden von der Westküste der Südinsel, ist anderthalb Stunden vom nächsten Ort weg, leben weniger als 500 Leute – und da habe ich mir gedacht, wenn da Leute so weit weg wohnen, in einer Einbahnstraße, dann muss es da entweder richtig cool sein, die Leute richtig cool oder es müssen einfach nur irgendwelche abgefahrenen Zombie-Jäger sein.

So Sachen sind mir ein paar Mal passiert, dass ich dann im Hostel mit dem Backpack abgestiegen bin und gefragt habe, ob ich die Nacht bleiben kann, [...] ob ich hier irgendwo arbeiten kann. „Ich bin Schreiner, wenn du irgendwas zu reparieren hast.“ „Oh, Schreiner, komm mal mit!“

Es ist dann auch schön, wenn du [beim Aufklappen der Neuseelandkarte] sagen kannst: „Ich habe da was gemacht und da und da und da.“ Jede Sache die du machst, gibt dir neue Erfahrungen und du hast jedes Mal andere Werkzeuge. Als ich in Tonga war, hatte ich nur eine Handkreissäge.

Gab es auch einen Tiefpunkt auf deiner Walz?

Ich hatte mal so eine Zeit, wo du denkst: „Wäre schon cool, wieder zuhause zu sein.“ Gerade als es anderthalb Jahre war, Mitte Neuseeland. Gerade danach [nach dem Wagenumbau] dann überlegst du so: „Wo gehe ich als Nächstes hin?“

Irgendwie war dann so in diesem Moment ein bisschen die Luft raus. Da hat man das dann schon so abends: „Jetzt würde ich einfach in meine Stammkneipe gehen und mich einfach nur in meine Ecke hocken und dann kommen Leute, die ich kenne, und ich brauche mich um nichts zu kümmern.“ Einfach mal dieses Daheimsein für einen Tag oder für eine Nacht.

Aber dann hast du manchmal auch Tage, wo du denkst: „Hey, daheim sind meine Kumpels auf der Arbeit oder im Büro oder sonst irgendwo und du stehst hier an diesem mega geilen Strand und die Sonne scheint und du hast nichts Besseres zu tun als dreimal am Tag Schwimmen zu gehen.“ Teilweise ist es, wo dich die Reise oder der Weg hinführt, absolut gigantisch.

Es war nie wirklich die Frage aufzuhören, es war einfach nur: „So langsam zieht es sich.“ Wie wenn du wandern gehst und du weißt, es ist nicht mehr so weit, aber du hast die Schnauze voll vom Laufen.

Warum soll man früher aufhören? Es geht immer irgendwie.

Konntest du auf der Reise etwas Neues an dir selbst, am Schreinersein oder Menschsein entdecken oder hättest du etwas selbst nicht von dir gedacht?

Wenn du zuhause bist, hast du wie einen Rahmen, also deine Verwandten, deine Freunde. Alles was du bisher warst, kreiert einen Rahmen für dich. Wenn du reist, ist dieser Rahmen weg. Das heißt, du kannst auch mal feststellen, in andere Richtung gern etwas zu machen.

Du lernst [beim Arbeiten auf der Walz] viel von anderen, dass du siehst, wie die das machen. Du siehst: Jede Firma hat wieder eine andere Schablone oder andere Werkzeuge. Jede Maschine ist wieder ein bisschen anders, jede Firma hat andere Schwerpunkte.

Ich weiß nicht, wie es ist, nicht Schreiner zu sein. Es ist, was ich mag und was ich mache. Ich könnte mir nicht vorstellen, im Büro zu arbeiten. Insoweit fühle ich mich privilegiert, dass ich das mag, was ich mache, dass ich darin aufgehe, dass ich meinen Job liebe.

Ich hatte, glaube ich, schon früher die Einstellung: Du kannst von mir aus machen, was du willst, solange du anderen Leuten nicht auf den Keks gehst damit. Mal dich lila an, stell dich auf den Kopf und wackle mit den Füßen. Kannst du den ganzen Tag lang machen.

Ich glaube, dass jeder einfach nur glücklich sein will. Du weißt, dass es immer läuft, egal wie schwer es ist. Es kommt immer etwas, wo du denkst: „Wow! Geil! Hätte ich jetzt nicht gedacht!“

Gab es eine Erfahrung, die du spontan als die bisher beste deiner Wanderschaft beschreiben würdest?

Es sind viele kleine Erfahrungen, die wirklich krass sind. In Australien konnte ich eine Zeit lang bei einer Familie mit zwei kleinen Kindern bleiben. Das war eine ziemlich gute Erfahrung für mich. Ich habe immer gedacht: „Familie? Ne, das ist nicht mein Ding.“ Aber ich hatte eine super Zeit mit denen.

 

(Ende des zweiten Teils des vierteiligen Interviews mit dem Wandergesellen Daniel Sattler.) 

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