Das multilaterale Handelssystem spielt eine Schlüsselrolle beim weltweiten Aufbau von Wohlstand sowie beim Erhalt des Weltfriedens. Doch politische Überlegungen gefährden das System.
Von besonderer Bedeutung für die Anerkennung Chinas als Marktwirtschaft ist Artikel 15 (a) (ii) des Protokolls über den Beitritt der Volksrepublik China zur Welthandelsorganisation (WTO). Bei diesem Thema steht die Autorität und Glaubwürdigkeit des gesamten multilateralen Handelssystems auf dem Spiel.
Nach Mei Xinyu, einem wissenschaftlichen Mitarbeiter des chinesischen Handelsministeriums, der sich für ein Exklusiv-Interview mit People’s Daily Online bereiterklärte, sollten alle Mitgliedsländer ihren Verpflichtungen nachkommen und die Fakten anerkennen. Artikel 15 (a) (ii) des Protokolls über den Beitritt der Volksrepublik China zur WTO bestimmt:
„Das einführende WTO-Mitglied kann eine Methodik anwenden, die nicht auf einem strengen Vergleich mit Inlandspreisen oder -kosten in China basiert, wenn die untersuchten Hersteller nicht klar nachweisen können, dass im Wirtschaftszweig, der die gleichartige Ware herstellt, in Bezug auf Herstellung, Produktion und Verkauf der Ware Marktwirtschaftsbedingungen herrschen.“
Jedoch findet sich in Abschnitt (d) desselben Artikels ein entscheidender Satz, welcher China den Marktwirtschaftsstatus zuspricht, auch wenn der Begriff selbst nicht benutzt wird: „Die Bedingungen von Unterabschnitt (a) (ii) treten 15 Jahren nach dem Beitrittsdatum außer Kraft.“ Laut Mei untersagt Artikel 15 (a) (ii) allen Mitgliedsstaaten, Preise oder Kosten eines Vergleichslands dafür zu nutzen, um Warenwerte in Anti-Dumping-Verfahren zu bestimmen.
Gary Clyde Hufbauer vom „Peterson Institute for International Economics“ erklärte im vergangenen Februar bei einer Anhörung zum Marktwirtschaftsstatus Chinas vor der staatlichen Prüfungskommission „U.S.-China Economic and Security Review Commission“, dass „dieser Satz bestimmt, dass alle Länder am 11. Dezember 2016 – 15 Jahre nach dem [WTO-]Beitritt – China den Status einer Marktwirtschaft zugestehen“.
Die Länder müssen jedoch ihre internationalen Verpflichtungen einhalten, auch wenn der Marktwirtschaftsstatus Chinas nicht anerkannt werde, so Mei. Ihm zufolge wäre das beste Ergebnis, wenn der Marktwirtschaftsstatus Chinas anerkannt und das Land entsprechende Behandlung erfahren würde. Allerdings sei der einzige Vorteil des Marktwirtschaftsstatus im Bereich des Handels, dass dies fremde Länder dazu verpflichten würde, chinesische Preise oder Kosten bei der Bestimmung der Preisvergleichbarkeit zu verwenden.
Das sekundäre Ziel sei daher, dass die USA und die EU ihre Versprechen einhalten. Wenn den internationalen Verpflichtungen nicht nachgekommen werde, könne China eine WTO-Streitbeilegung initiieren oder auch mit moderaten wirtschaftlichen Vergeltungsmaßnahmen reagieren, so Mei.
Er wies zudem darauf hin, dass Chinas in Dollar quotierte Einfuhren 2015 zwar mehr als die der Europäischen Union gesunken seien, aber Chinas Wachstumspotenzial weiterhin stark sei. Handelsprotektionismus und wirtschaftliche Vergeltungsmaßnahmen seien nie eine Einbahnstraße, vor allem wenn beide Seiten etwa gleich stark seien. 2011 lagen die Bruttoinlandsprodukte (BIP) von China und der Eurozone etwa gleichauf, wobei jede Seite rund 14,3 Prozent des globalen BIP stellte. Im Jahr 2015 stieg Chinas Anteil am Welt-BIP auf 17,1 Prozent, während das der Eurozone bei 11,9 Prozent lag.
Laut Mei kann China dadurch der EU die Kosten eines solchen Handelns erkennen lassen. Hufbauer kam zu einer ähnlichen Schlussfolgerung bei der Anhörung der Prüfungskommission über den Marktwirtschaftsstatus Chinas. Er sagte, dass die USA bei der Vorenthaltung des Marktwirtschaftsstatus letztendlich „mehr verlieren, als gewinnen“ würden, weil die Entscheidung „eine sehr große Irritation“ der bilateralen Handelsbeziehungen darstellen würde und der Nutzen für die einheimische Industrie bescheiden wäre. Obwohl der Nutzen einer Anerkennung die Kosten einer Ablehnung überwiegen, sind die USA und die EU versucht, ihre Versprechen zu brechen.
Die Wachstumsrate der US- und EU-Exporte überholte 2012 und 2013 die Zuwachsrate der Importe. 2014 änderte sich jedoch die Lage. Die Wachstumsrate der Einfuhren in die USA und EU übertraf die der Ausfuhren um 0,4 Prozent und die Kluft vergrößerte sich 2015 erheblich, vor allem in den USA. Das wachsende Handelsungleichgewicht von den USA und der EU könnte diese zu protektionistischen Maßnahmen gegen China motivieren.
Manche Kräfte in den USA und der EU versuchen sicherzustellen, dass China auch weiterhin der Status als Marktwirtschaft verwehrt bleibt. Im April 2016 brachte die US-amerikanische Kongressabgeordnete Rosa DeLauro den „China Market Economy Status Congressional Review Act“ vor, um zu gewährleisten, dass der Kongress die Befugnis zur Entscheidung hat, ob China der Status einer Marktwirtschaft zusteht. Derzeit liegt die Verantwortung dafür beim US-Handelsministerium. Laut DeLauro hätte ein Statuswechsel Chinas „einen verheerenden Einfluss auf die amerikanische Industrie“.
Auch in Europa gibt es Anlass zu ernster Besorgnis über den Marktwirtschaftsstatus Chinas, obwohl die täglichen Handelsströme zwischen beiden Seiten weit über eine Milliarde Euro betragen. Im Mai 2016 legte die Europäische Parlament einen nicht bindenden Beschluss zur Nicht-Anerkennung Chinas als Marktwirtschaft der Europäischen Kommission vor. Eine Anerkennung würde Anti-Dumping-Maßnahmen erschweren, so die Begründung. Solcher Handelsprotektionismus gereicht dem Welthandel mehr zum Nach- als zum Vorteil.
Das Thema Marktwirtschaftsstatus ist komplex, aber die Grundlagen des Problems sind simpel. Alle WTO-Mitgliedsländer haben vor 15 Jahren versprochen, bis 2016 den Ersatzland-Ansatz gegen China – unabhängig von der Entscheidung über seinen Marktwirtschaftsstatus – zu beenden. Die Einhaltung dieser internationalen Verpflichtung ist nicht nur für China wichtig, sondern auch für das multilaterale Handelssystem selbst.
China ist sich bewusst, dass einzelne WTO-Mitglieder die Entscheidung darüber fällen, ob sie China als Marktwirtschaft anerkennen. Das Land respektiert diese Tatsache. Aber die Volksrepublik wird sich nicht zurücklehnen und tatenlos zusehen, wie andere Länder das Außerkrafttreten der Sondervorschriften einfach ignorieren, um aus politischen Erwägungen heraus Chinas Handel einzuschränken.
Alle WTO-Mitgliedsländer sollten darauf achten, ihren internationalen Verpflichtungen zur Wahrung der Autorität und Glaubwürdigkeit des multilateralen Handelssystems nachzukommen, da das System bisher einen entscheidenden Beitrag zum dauerhaftem Frieden und Stabilität auf der Welt geleistet hat.