Von Dr. Maximilian Mayer
Bundeswirtschaftsminister und Vize-Kanzler Sigmar Gabriel wollte eigentlich eine Woche in China verweilen. Gesprächsthemen gibt es genügend aus deutscher Sicht. Tausende deutsche Unternehmer/Innen hier in China erwarten sich vom Gabriels Besuch Unterstützung für ihre Geschäfte in einem zunehmend als instabil betrachteten Markt. Auch die wachsendeinländische Konkurrenz macht deutschen Unternehmen zu schaffen. Obwohl deutsche Unternehmen nicht unmittelbar betroffen waren, wurde nicht zuletzt der Börsencrash in Shanghai als ein Weckruf verstanden.
Die Reiseplanung von Gabriels Delegation wurde jedoch aufgrund der sich zuspitzenden Griechenlandkrise erheblich verkürzt. Für europäische Politiker sind solche terminliche Verschiebungenzurzeitkein Einzelfall. Denn es geht in Brüssel um essentielle Fragen, die entscheidend für die Zukunft des gesamten Euro-Raumes sind. Die EU befindet sich in ihrer größten Krise seit Gründung.
Für Gabriel, der Partievorsitzenderder Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) ist, steht dabei jedoch nicht nur Deutschlands außenpolitische Glaubwürdigkeit auf dem Spiel. Auch seine eigene politische Zukunft ist unsicher geworden. In den letzten Wochen hat Gabriels Rückhalt in der SPD erheblichen Schaden erlitten. Seine harte Haltung gegenüber Griechenland, seine als unkritisch wahrgenommene Unterstützung des Transatlantischen Freihandelsabkommens undschließlich seine Übernahme der CDU-Position was das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung betrifft, erzeugte große Irritationen an der Basis der Partei. Nun geht es beim Verbleib eines Mitgliedstaats in der Eurozone um einen Präzedenzfall, der eben aufgrund seiner Komplexitätkeineswegs eine eindeutige Haltungfür einen Parteichef nahelegt.Beispielsweise ist eshöchst umstritten, ob die rechtlichen Voraussetzungen für einen „Grexit“ überhaupt bestehen. Auch sehen viele inzwischen die machtpolitische Dimension von Griechenlands Schicksal mit wachsender Aufmerksamkeit.
Die unverhohlene Machtausübung Berlinskönnte einen Bumerang-Effekt erzeugen. Schon jetzt vergrößert sich das Misstrauen, vor allem in Frankreich und Seitens süd-europäischer Regierungen,gegenüber der deutschen Haltung. Yanis Varoufakis, Griechenlands zurückgetretener Finanzminister, hat im Guardian den Vorwurf erhoben, die deutsche Regierung hätte von Anfang an den Rauswurf Griechenlands aus der Eurozone geplant, um ein Exempel zu statuieren. Die oftmals persönlichen Attacken gegen die griechische Regierung in deutschen Medien sowie die durch Politiker von SPD und von Kanzlerin Merkels Christlich Demokratischer Union (CDU) haben die Anti-Griechenland Stimmung angeheizt. In der Tat fordern deutsche Konservative im Grundton der absoluten Überzeugung den Grexit undrücken damit Deutschland aus Sicht vieler Europäerinnen in ein äußerst schlechtes Licht. Selbst EU-Beamte bezeichneten die Verhandlungen, die Bundeskanzlerin Merkel und Präsident Hollande mit dem griechischen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras als „massives Waterboarding“ .
Deutschlands hartnäckige Verweigerungshaltung und die kategorische Ablehnung einer Schulden-Konferenz wurden auch von Gabriel wiederholt betont. Diese Haltung gegenüber einem Land, das mit 177% seines BIPs verschuldet ist, scheint jedoch umso unverständlicher, weil Westdeutschland nach Ende des zweiten Weltkriegs selbst in den Genuss eines umfassenden Schuldenschnitts gekommen ist, wie jüngst Thomas Piketty unter anderen mit großen Nachdruck bemerkt hat. Die regierende Koalition aus CDU und SPD muss daher äußerst vorsichtig agieren, um unter allen Umständenden Eindruck zu vermeiden, dass Brüssel lediglich zum Instrument deutscher Wirtschafts-und Finanzpolitik verkommt, während die Bundesregierung sich selbst auf dem hohen moralischen Ross ihrer Sparphilosophie sieht.
Zweitens geht es um die grundlegenden ordnungspolitischen Prinzipien Europas, die sich in einer Verschiebung der europäischen Parteienlandschaft wiederspiegelt. Der Streit über die Sinnhaftigkeit einer strikten Austeriätspolitik ist zwar zur Zeit für Griechenland, das in wenigen Jahren ca. ein Viertel seiner Wirtschaftsleistung verloren hat, eine wirkliche Überlebensfrage. Doch die Legitimität des Berliner Spardiktats ist auch nicht weniger relevant für die von Einsparpolitik und schwachem Wirtschaftswachstum gezeichneten Länder wie Portugal und Spanien. Aus parteipolitischer Sicht geht ein Riss durch Europa: populär-linke Parteien und schnell-wachsende Anti-Austerität-Bewegungen stehen konservativen Parteien gegenüber, die seit der Finanzkrise von 2008 Europaweit Sozialabbau, strikte Haushaltsdisziplin und Sparpolitik als wirtschaftspolitische Leitnormen durchgesetzt haben.
Die griechische Regierungspartei Syriza und linke Parteibündnisse wie Pademos in Spanien, haben erdrutschartige Wahlsiege errungen. Zurecht werden diese als Protestparteien gesehen. Denn sie verkörpern den wachsenden Wiederstand eines Großteils der Bevölkerung gegen die von Brüssel vorgegebene Sparpolitik. Ihre Programmatik steht aber, trotz der Ablehnung der Sparpolitik und im Unterschied zu neuen Rechtsparteien, nicht grundsätzlich gegen das Projekt eines institutionell vereinten Europas.Genauso interpretiert etwa Jean-Christophe Cambadélis, der Parteivorsitzende der französischen Regierungspartei, das griechische Referendum vom letzten Wochenende. Der Chef der Französischen Sozialisten lässt deutliche Sympathien mit Syrizas Wunsch nach einer Schuldenumstrukturierung erkennen. Frankreichs Präsident François Hollande stellte klar, "Frankreich wird alles dafür tun, um zu einer Einigung zu gelangen, die Griechenland den Verbleib in der Euro-Zone ermöglicht". Vor diesem Hintergrund geraten auch andere Mitte-Links Parteien wie die SPD unter Druck, sichhinsichtlichder sichtbaren sozialen Auswirkungen der Griechenlandkrise klarer positionieren. Derselbe ideologische Riss spaltet zunehmend sowohl die Regierungskoalition in Berlin, als auch Gabriels Partei, die SPD.