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Tanja trifft ... Djang San

(German.people.cn)  Freitag, 26. Juli 2019

  
Tanja trifft ... Djang San
Djang San

Text und Bilder von Tanja Herko, Beijing

Freitagabend in Beijing. Ich fahre das erste Mal mit dem Fahrrad von der Arbeit nach Hause. Vorher frage ich meinen Kollegen noch, der nicht weit weg von mir wohnt, wie lange ich ungefähr unterwegs sein werde. Er überlegt und sagt: „Mh … vielleicht so circa eine halbe Stunde.“

Bei meinem außerordentlich schlechten Orientierungssinn (und da nützen auch keine online Weltkarten), kalkuliere ich vorsichtshalber ein paar Minuten mehr ein. Nach 1,5 Stunden gebe ich auf und entscheide mich dafür, eine kurze Rast bei dem Biergarten einzulegen, an dem ich gerade durch Zufall vorbeikomme (manche Leute behaupten ja, es gibt gar keine Zufälle). Ich folge dem Gelächter und Stimmenwirrwarr. Ein Feierabendbierchen, und das am Freitag, an einem wunderschönen Sommerabend, wird ja wohl erlaubt sein und ehe ich mich versehe, sitze ich an einem Tisch mit Leuten aus Kanada, England und den USA. Eine Chinesin ist auch dabei. Und ein Franzose auch. Nach dem (ungefähr) dritten Feierabendbier komme ich auch mit ihm ins Gespräch und was ich höre, begeistert mich und darum treffe ich mich ( vor einem seiner Auftritte in einem französischen Szeneclub in Beijing) in der zweiten Episode mit Djang San.

Die Atmosphäre vor dem Auftritt ist relativ entspannt. Von Aufregung keine Spur. Die Jungs, Djang San, der Drummer (Hugo Radyn aus Südafrika) und der Bassist (Jukka Ahonen aus Finnland) essen und trinken noch was vor ihrem Auftritt. Djang San zieht genüsslich an einer Zigarette.

Djang Sans französischer Name ist Jean-Sébastien Héry. Er wurde 1980 in Bordeaux, Frankreich, geboren, ein Affe nach dem chinesischen Tierkreiszeichen. Die sind vor Allem für ihre Vielseitigkeit bekannt. Und genau das erkennt man auch in seiner Musik. Djang San ist nämlich - nun schwer zu erraten - Musiker! Aber nicht irgendein Musiker! Denn er kam auf eine ganz besondere Idee:

Er begann damit, alte chinesische Instrumente in seine melodischen Kunstwerke zu integrieren und sie mit Rock n Roll, Jazz und Elektro-Elementen zu vermischen. DAS macht seine Musik außergewöhnlich!

Die Idee hatte er, als er 2000 zum ersten Mal nach China kam und ein Konzert der Beijing Oper besuchte (deswegen trägt er bei manchen seiner Auftritte auch eine Maske, eines seiner Markenzeichen). Bei der Beijing Oper sah er zum ersten Mal eine Zhongruan und eine Pipa (zwei Zupfinstrumente aus dem alten China) und entschloss sich, diese in die moderne Musik zu integrieren.

Djang San entdeckte aber auch die Underground-Musikszene in Beijing, und begann selbst damit, in der Stadt Musik zu machen, wobei er sich von der lokalen Folk- und Rockmusikszene inspirieren ließ.

"Einige Bands haben mich sehr überrascht:" Thin Man "," Second Hand Roses "," Underground Babies "und" Wild Children ". Ich wusste nicht, dass es in China Rockmusik gibt. Die Musikszene in Beijing entwickelte sich und wuchs. Zudem hat außerdem Musik aus Xinjiang, Tibet und der Mongolei meine musikalische Entwicklung maßgeblich beeinflusst.

Diese mystische Musik, die für mich völlig neu war, veränderte meine Welt und ich versuchte, dies in meine Musik zu integrieren.

Ich kaufte verschiedene chinesische Instrumente, wie zum Beispiel eine Pipa, eine Zhongruan, eine Hulusi, eine Suona, eine Xun und viele mehr.

Mein elektrisches Zhongruan ist der Publikumsmagnet. Neben mir natürlich.“

Djang San lacht und zündet sich eine neue Zigarette an. Ich mag seine natürliche Gelassenheit.

„Ich habe die Elektrische Zhongruan selbst entwickelt, weil ich eine künstlerische Vision über die Elektrifizierung alter Instrumente und deren Einsatz in der modernen Musik hatte. Später habe ich das Gleiche auch mit der Pipa gemacht.“

Ich sitze neben ihm und beobachte, wie er seine Zhongruan (ein chinesisches Zupfinstrument, das wahrscheinlich vor circa 2500 Jahren entwickelt wurde) stimmt. Sie hat gerade neue Saiten bekommen. Früher waren die aus echter Seide. Auf dem Lautenkopf sind üblicherweise dekorative Elemente, die Glück bringen sollen, wie zum Beispiel Pfingstrosen oder - natürlich - Drachen! Ich sehe eine Zhongruan zum ersten Mal aus der Nähe und betrachte die Pfingstrose.

„Die ist aber nicht aus Elfenbein, sage ich erschrocken und muss wohl sehr besorgt schauen, weil plötzlich drei laut anfangen zu lachen.

„Doch! Den Elefanten habe ich selber erlegt!“

Natürlich merke ich schnell, dass ich hier gerade nur auf den Arm genommen werde und lache erleichtert mit. Natürlich ist Djang Sans Rose aus Kunststoff. Früher allerdings, ganz früher, waren die Elemente aus echtem Elfenbein. Zum Glück ist das ja nun verboten.

Was aber am faszinierendsten ist an diesem Instrument ist sein spezieller Klang. Der Zuhörer bekommt sofort das Gefühl, in eine andere Atmosphäre transportiert zu werden, in eine andere Zeit, in eine andere Welt. Bei mir ist das auf jeden Fall so.

"Es gibt Millionen von Menschen in China, die dieses Instrument spielen können, aber die Bedeutung des Instruments in der heutigen Zeit kann nicht mit der Popmusik mithalten, viele Leute betrachten es als etwas aus der Vergangenheit, etwas zu Altes, deshalb benutze Ich alte Instrumente, weil für mich Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft miteinander verbunden sind.

Es ist etwas aus dem alten China und das fand ich tatsächlich viel interessanter. Ich wollte etwas Altes nehmen, um es wieder modern zu machen und ihm somit neues Leben zu geben.

Alles im Leben ist miteinander verbunden. Und es ist seit langer Zeit miteinander verbunden. Und das wird sich nie ändern. Es hat immer Kommunikation zwischen verschiedenen Welten, verschiedenen Kulturen und verschiedenen Ländern gegeben.

Unterschiedliche Kulturen und Musik inspirieren mich in mehrfacher Hinsicht. Ich bin in Peru aufgewachsen und mit 6 Jahren nach Frankreich zurückgekehrt. Schon damals hat mich das Leben geprägt, indem es mich durch verschiedene Welten und Kulturen beeinflusst hat."

Tanja: „Du hast in Peru und Frankreich gelebt und bist seit 15 Jahren in China. Du sprichst Französisch, Englisch, Spanisch und sogar Chinesisch - fließend! Wenn wir über kulturelle Identität sprechen, wo siehst du dich?"

DS: "Ich fühle mich als Teil der Menschheit. Ich bin ein Mensch in aller ersten Linie."

Tanja: „Seit 2003 hast du bereits 50 Alben veröffentlicht und gerade drei neue auf den Markt gebracht. Was kannst du über die neuen Alben sagen und was ist deine Motivation?"

DS: "In jedem Album habe ich unterschiedliche Konzepte entwickelt, die auf der kulturellen Identität und der Möglichkeit einer gemeinsamen Basis für den Dialog zwischen unterschiedlichen Kulturen und Ländern basieren.

Dies gilt insbesondere für das Album „straight lines and circles“ (gerade Linien und Kreise), bei dem die geraden Linien den Westen und die Kreise den Osten darstellen.

Wir im Westen glauben, dass alles einen Anfang und ein Ende hat. Die asiatische Sichtweise ist etwas anders. Zum Beispiel wird in China, Japan oder Korea das Konzept der Zeit etwas anders betrachtet. Es gibt keinen Anfang und es gibt auch kein Ende. Ich denke, in beiden Ideen steckt etwas Positives und etwas Negatives. Diese Widersprüche versuche ich in meiner Musik auszudrücken."

T: "Und welche der beiden Varianten bevorzugst Du? Ein Ende? Oder kein Ende?“

DS: "Natürlich bevorzuge ich kein Ende, aber leider gibt es ein Ende."

Tanja: "Das wissen wir nicht. Hast du eine bestimmte Botschaft, die du mit deiner Musik vermitteln möchtest?"

DS: "Ich denke, die Kernbotschaft in meiner Musik, ist die Botschaft, dass es keine Grenzen gibt, solange wir uns auf das konzentrieren, was für uns wirklich wichtig ist und was oder wer wir sein wollen. Ihr könnt selbst entscheiden, was ihr tun und was ihr nicht tun wollt."

Tanja: "Aber das ist manchmal gar nicht so einfach.“

DS: "Das ist nicht einfach. Manchmal ist es sogar extrem schwierig. Aber Ideale und Ideen kennen keine Grenzen. Ich habe angefangen, chinesische Instrumente mit Jazz und Rock zu mischen, weil ich etwas Neues kreieren wollte. Die Zukunft wird von den Pionieren geschaffen, von denen, die das wahrnehmen und aufgreifen, was die meisten Menschen nicht sehen können.

Ich höre die Leute ständig sagen, dass heute schon alles entdeckt und erfunden wurde und es nichts Neues zu entdecken und zu erfinden gibt. Stell` dir vor, die Menschen im 15. Jahrhundert hätten genauso gedacht!

Die Wahrheit ist, dass die Vorstellungskraft keine Grenzen kennt!

Oft setzen wir uns diese Grenzen selber, weil das Leben manchmal grausam sein kann und wir Angst haben. Aber wenn wir genau hinhören, wissen wir, dass nichts unmöglich ist. Wenn wir unseren Gefühlen folgen, sind wir zu 100% auf dem richtigen Weg. Und wenn wir das nicht tun, werden wir bitter und traurig.

Manchmal sogar bis zu dem Punkt, an dem wir nicht mehr existieren wollen. "

Tanja: „Also sagst du: "Hört auf eure innere Stimme?“ Oder klingt das kitschig, wenn ich es so ausdrücke?"

DS: "Vieles von dem, was kitschig klingt, ist wahr."

Tanja: „Aber man muss auch Opfer bringen, um so zu leben, wie man es sich wünscht. Was hast du geopfert?

DS: "Vielleicht alles."

Tanja: "Das klingt extrem ehrlich."

DS: "Wenn ich nicht ehrlich wäre, hätte meine Musik keine Bedeutung.

Ich erwarte nicht, dass die Leute meine Musik mögen oder nicht, obwohl es natürlich besser wäre, wenn sie sie mögen (er lacht). Aber das ist nicht das Hauptziel. Das Hauptziel meiner Musik ist der Ausdruck meiner Lebenserfahrung.“

Seine Bandkollegen stehen auf.

„Genug gequatscht. Wir müssen runter, es geht los."

Ich folge den dreien hinunter zur Bühne. Das Licht erstrahlt rot und schwebt durch den Saal. Die Musik beginnt.

Und bevor ich meine Kamera ansetzen kann, werde ich gefesselt vom wilden Klang der Zhongruan, der mich sofort in ein anderes Jahrhundert und die mongolische Steppe katapultiert. Und doch bin ich im hier und jetzt, in Beijing, in einer Tanzbar, und darum tanze ich und ich springe. Und plötzlich ertönen die Worte:

What is there that we don`t know?

What is there that we don`t know?

What is there, we don`t know?

When did we cross that bridge?

What is there, what we don’t know?

What is there, what we won’t know?

What is there, what we don’t know?

When will we cross that bridge?

Was ist da draußen, was wir nicht wissen?

Was ist da draußen, was wir nicht wissen?

Ist da draußen etwas, wovon wir nichts wissen?

Wann werden wir diese Brücke überqueren?

Lied: “The other side" aus dem Album "Straight Lines and Circles"

Diese Worte werden getragen von den Schwingungen der alten Zhongruan und zwar in jeden Winkel des Saales. Ihr wilder Klang erzeugt in mir eine Abenteuerlust! Ich will Neues Territorium erforschen! Ich will wissen, was ist denn da jetzt auf der anderen Seite! So müssen sich die Nomaden früher gefühlt haben, als sie neues Territorium entdeckt haben. Bis ich plötzlich in die 70ger katapultiert werde, wow! Die Zeiten mögen sich geändert haben, aber durch die Musik merke ich, dass es keine Grenzen gibt zwischen damals und heute, zwischen dem hier und jetzt - und das wird auch in Zukunft so sein. Alles ist ein Zirkel. Ich verstehe. Es gibt keine unerforschten Gebiete. Es gibt keine Alt und kein Neu. Alles ist miteinander verbunden. Alt ist Neu und Neu ist alt. Genau, wie Djang San es gesagt hat und er es mit seiner Musik transportiert.

Was für ein Erlebnis! 


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