Von Tanja Herko, Beijing
Beijing. Menschenmengen, Wolkenkratzer, Blechlawinen. Ich fühle ich mich wie eine Ameise, die auf ihrem Weg nach Hause verzweifelt versucht, von der rollenden Masse nicht zerquetscht zu werden. Das Problem dabei ist nur - ich habe gar kein zu Hause! Naja - also noch nicht zumindest.
Ich bin übrigens Tanja und neu hier in der Stadt.
Schon bei den ersten Wohnungen, die ich am Tag meiner Ankunft in Beijing „rekord-besichtige", schlackern mir die Ohren. Schwindelerregende Preise für kleine ein Zimmer Apartments, die in monströsen Wohnkomplexen wie die Waben eines Bienenstocks eingebettet sind. Es gibt ja Leute, die mögen das. Für mich ist das aber nichts. Ich mag es lieber etwas persönlicher und weniger anonym.
Am dritten Tag verlässt mich der Mut. Alles sieht danach aus, als werde ich in einer der Waben leben müssen. Einen letzten Termin habe ich aber noch. Ich bin viel zu spät dran, darum entscheide ich mich für eines dieser kleinen Vehikel, das sie hier Toktoks nennen und mache gleich den ersten Fehler: Ich sage dem Fahrer, dass er sich bitte beeilen soll. Die meiste Zeit während der Fahrt durch den Gegenverkehr halte ich mir die Augen zu.
Immerhin erreiche ich das Ziel pünktlich und in einem Stück!
Die Hutongs von Beijing.
Die Hutongs sind alte Stadtviertel, wie man sie aus den klassischen Kung Fu Filmen kennt. Die kleinen Häuschen, sind in alter chinesischer traditioneller Bauweise im 15. Jahrhundert um die verbotene Stadt herum errichtet worden. Mit ihren geheimnisvollen Gassen und dem imperialen Charme, versprühen sie bis heute eine magische Atmosphäre, deren Zauber sich so gut wie niemand entziehen kann.
Das soziale Leben findet hier überwiegend draußen statt, deshalb stehen sich die Menschen hier sehr nah. Nachbarn sind nicht nur Nachbarn, sondern auch Freunde und Familie. Die Leute sind äußerst gesellig und reden gerne und viel ( genau wie ich ).
Besonders alte Menschen sind tief mit den Hutongs verwurzelt. Die meisten von ihnen leben hier schon fast ihr ganzes Leben lang.
Mit dem rasanten Wirtschaftswachstum in den 80ern, traf die Hutongs und ihre Bewohner dann ein Schicksal, das sie zum Vorboten für den Tod des Alten und die Geburt des Neuen Chinas machte.
Sie verschwanden.
Die Bevölkerungsrate stieg. Neuer Wohnraum musste her und das so schnell wie möglich. Weil einfach nicht genug Platz vorhanden war, mussten viele der Hutongs abgerissen und durch gigantische Hochhauskomplexe ersetzt werden.
Mittlerweile erkennt China allmählich wieder den Wert des Alten. Die letzten der Hutongs werden bewahrt, oder neu aufgebaut. Das mag unter anderem auch daran liegen, dass sie wegen ihres ursprünglichen Charakters und der Ruhe, die sie bieten, vor allem bei Ausländern sehr beliebt sind. Ein neuer Zweig in der Immobilienbranche ist entstanden.
Und hier komme ich wieder ins Spiel!
Erschöpft stehe ich also vor einem alten Holztor, dessen roter Lack bereits abplatzt. Würde Jacky Chan plötzlich vom Dach springen und mir ein kühles Bier in die Hand drücken, wäre ich nicht sonderlich überrascht. Ich kann in den Hinterhof schauen. Dort steht ein alter Baum. Er duftet und ein Schmetterling fliegt vorbei. Ein paar der Leute, die an mir vorbeikommen, lächeln mich an und sagen freundlich „Ni Hao“ und zum ersten Mal, seit ich wieder in China bin, habe ich das Gefühl, dass sich der Knoten in meiner Brust löst. Ich weiß sofort - ich bin zu Hause und nehme die Wohnung mit dem alten Baum im Hinterhof.
Die Hutongs gehören zum Herzen von Beijing. Wie kleine Inseln liegen sie inmitten der Millionen Metropole und bieten mit ihrer Ruhe und robusten Schönheit einen Schutz vor der hektischen Außenwelt. Sie sind viel mehr als nur eine Anreihung von Gebäuden. Sie haben eine Seele. Ihr Verschwinden wäre ein bitterer Verlust für die chinesische Kultur und Gesellschaft und würde viele der Bewohner in ein tiefes Unglück reißen, ganz egal, ob arm oder reich, alt oder jung, Chinese oder Ausländer, Mensch oder Tier, denn sie alle würden etwas sehr wichtiges verlieren:
- ihr zu Hause -
Mein Name ist Tanja Herko, ich kam im Mai 1980 auf diese Welt ( Affe und Zwillinge: das heißt, ich höre quasi nie auf zu reden, es sei denn, ich schlafe). Ich komme aus Deutschland und seit Kurzem arbeite ich als Fotografin und Redakteurin für die People`s Daily Online in Beijing.
Auch ich bin nun ein Bewohner der Hutongs. Hier tanke ich neue Energie und lerne die unterschiedlichsten Menschen kennen, die sich wie ich, hier zu Hause fühlen und diese wundersame Stadt aus ihrer ganz eigenen Perspektive erleben.
Mit einigen dieser Menschen treffe ich mich, damit sie mir ihre Geschichte erzählen können, die unsere Redaktion der People`s Daily Online hier gerne mit euch teilen möchte.
Cheers,
Eure Tanja