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Erst die Entschuldigung, dann die Vergebung

(Beijng Rundschau)
Donnerstag, 08. Februar 2018
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Von Zhang Shusi

Nur wenn man sich entschuldigt, kann einem vergeben werden (chin. “只有道歉了才会被原谅”) – diese Redewendung verwenden chinesische Eltern zur Erziehung ihrer Kinder. Dahinter verbirgt sich eine einfache Logik: Im Prozess der Versöhnung ist eine ehrliche Entschuldigung die grundsätzliche Voraussetzung. Vergebung kann nicht zur gleichen Zeit wie die Entschuldigung erfolgen, geschweige denn vor der Entschuldigung.

Diese Grundkenntnis im Bereich der zwischenmenschlichen Beziehungen ist auch auf den Bereich der internationalen Beziehungen anwendbar: Im Prozess der Versöhnung kann eine Seite erst dann auf Vergebung hoffen, wenn sie sich bei der anderen Seite entschuldigt hat. Die Aussöhnung zwischen Deutschland und den Ländern Frankreich, Polen sowie Israel beruht auf einer aufrichtigen Entschuldigung von deutscher Seite. In China wird Deutschlands verantwortungsvolle Einstellung zu seiner Geschichte immer mit Japans Einstellung verglichen. Wenn wir in China an Deutschland denken, denken wir beispielsweise an den deutschen Bundeskanzler Konrad Adenauer, der nervös war, als er den französischen Präsidenten Charles de Gaulle besuchte; an Willy Brandts historischen Kniefall in Warschau (1970); an das im Stadtzentrum Berlins errichtete Denkmal für die ermordeten Juden Europas; an die Bundesregierungen, die die Verhinderung von Antisemitismus gesetzlich verankert und ihre historische Verantwortung wiederholt betont haben; und an das, was Bundeskanzlerin Angela Merkel gesagt hat, nämlich, dass Israels Sicherheit Teil der deutschen Staatsräson sei.

Währenddessen hat der deutsche Botschafter in China, Michael Clauss, vor kurzem beschlossen, uns Chinesen an dem für uns besonders wichtigen Nationalen Gedenktag zu Ehren der Opfer des Nanjing-Massakers zu „belehren“. Clauss sagte, dass zur Aussöhnung gleichzeitig der „Versöhnungswille der Täter“ und der „Wille der Opfer zur Vergebung“ erforderlich seien, was die logische Reihenfolge der Vorgänge völlig auf den Kopf stellt und für uns Chinesen weder auf intellektueller noch auf emotionaler Ebene akzeptabel ist. Warum? Weil die Entschuldigung immer zuerst kommen muss, und weil wir auf Japans Entschuldigung und Reue schon viel zu lange gewartet haben!

Blicken wir auf Deutschland im Jahr 1951 zurück. Der Ort des Geschehens: Bonn. Am 27. September gab Bundeskanzler Konrad Adenauer dort folgende Erklärung vor dem deutschen Bundestag ab: „Die im Namen des deutschen Volkes begangenen, unsagbaren Verbrechen verpflichten uns zur moralischen und materiellen Wiedergutmachung.“ Das deutsche Volk müsse „den Weg zur seelischen Bereinigung unendlichen Leides erleichtern.“ Einen Monat zuvor waren in der Bundesrepublik Deutschland Forderungen lautgeworden, dass die Bundesregierung Verantwortung für den Holocaust übernehmen und die Initiative zur Versöhnung mit Israel übernehmen müsse. Gerade diese miteinander im Einklang stehende Haltung von Bürgern und Regierung bildete den ersten Schritt auf dem langen Weg zu einer Aussöhnung zwischen Juden und Deutschen.

Auf der anderen Seite des Mittelmeers reagierten die Religionsoberhäupter Israels lange Zeit mit der völligen Verbannung des „Deutschseins“: die Juden dürften die Sprache der „Nazi-Henker“ nie mehr sprechen, keine von den „Mördern ihrer Familien“ hergestellten Produkte kaufen, niemals das „mit jüdischem Blut befleckte Land“ betreten. Doch selbst vor diesem verständlichen, aber auch entmutigenden Hintergrund bestand die Bundesrepublik Deutschland weiter darauf, mit Israel und dem Jüdischen Weltkongress Kontakt aufzunehmen. Das Ziel war eindeutig: Deutschland wollte Israel und die Juden entschädigen. Bei der Erörterung der Frage, ob man die Entschuldigung und Entschädigung der Deutschen akzeptieren sollte, brachen in der Knesset hitzige Diskussionen aus: Sollten die Juden direkten Kontakt zu ihrem „Henker“ und „Scharfrichter“ aufnehmen, kann eine Blutschuld mit Geld bezahlt werden?

Die Opfer haben das Recht zu entscheiden, ob sie die Reue der Täter akzeptieren oder nicht! Was aber noch wichtiger ist: der Wille der Täter zur Entschuldigung muss fest und die Reue ehrlich sein. 

Dieser entschiedene Wille zur Entschuldigung und die verantwortungsvolle Haltung gegenüber der Geschichte spiegeln sich auch in allen Aspekten der heutigen Israelpolitik der Bundesregierung wider. Alle bisherigen deutschen Regierungen haben in ihrer Regierungserklärung die historische Verantwortung Deutschlands und Deutschlands besonderes Versprechen für Israel betont. Die derzeitige Bundesregierung unter Führung von Bundeskanzlerin Angela Merkel betonte in ihrer Regierungserklärung: „Dem systematischen Völkermord an den europäischen Juden sowie an anderen Völkern und Gruppen wird in der deutschen Erinnerungskultur immer eine außerordentliche Bedeutung zukommen. Angesichts der enormen Wissensdefizite bei Jugendlichen über die beiden deutschen Diktaturen im 20. Jahrhundert gilt es, wirksame Mittel für eine bessere Wissensvermittlung wie die schulische und außerschulische politische Bildung zu nutzen.“ Am 18. März 2008 sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel in ihrer Rede vor der Knesset: „Diese historische Verantwortung Deutschlands ist Teil der Staatsräson meines Landes. Das heißt, die Sicherheit Israels ist für mich als deutsche Bundeskanzlerin niemals verhandelbar.“ Diese vielseitigen und hochrangigen Erklärungen bestätigen doch einen Punkt: Die Bundesregierung ist sich genau bewusst, dass Entschuldigung und Reue ein langfristiger, anhaltender und systematischer Prozess sind.

Nachdem die USA ihre Anerkennung Jerusalems als Hauptstadt Israels verkündeten, brachen an mehreren Orten Deutschlands Demonstrationen aus, bei denen einige – ursprünglich aus muslimischen Ländern stammende – wütende Demonstranten israelische Flagge verbrannten und antisemitische Parolen riefen. Ein paar Tage später stattete Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier dem israelischen Botschafter in Deutschland einen Besuch ab und sagte bei einem Empfang der israelischen Botschaft in Berlin, dass Antisemitismus in dieser Bundesrepublik keinen Platz haben dürfe, kein jüdischer Bürger auf deutschen Plätzen gedemütigt werden dürfe, und dass ihn das Verbrennen israelischer Fahnen bei Demonstranten zutiefst erschreckt, entsetzt und beschämt habe.

Steinmeiers Worte erinnerten mich an den 5. Mai 1985, als der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl und US-Präsident Ronald Reagan den Militärfriedhof Bitburg besuchten. Der Besuch verursachte einen Aufruhr in Israel, weil auf dem Friedhof auch Mitglieder der Waffen-SS begraben sind. Drei Tage später hielt der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker eine berühmte Rede vor dem Deutschen Bundestag: Er verurteilte die Verbrechen Deutschlands in der NS-Zeit aufs Schärfste und sagte, dass der Tag des Zusammenbruchs des Naziregimes der „Tag der Befreiung“ gewesen sei. Ein weiterer, berühmter Satz seiner Rede lautete: „Wer aber vor der Vergangenheit die Augen verschließt, wird blind für die Gegenwart. Wer sich der Unmenschlichkeit nicht erinnern will, der wird wieder anfällig für neue Ansteckungsgefahren.“ Die deutsche Regierung hat es immer verstanden, sich vor der Geschichte und den Opfern zu verneigen, und sie kümmert sich zu besonderen Zeiten (wie etwa Gedenktagen!) auch immer um die Gefühle der Opfer.

Erst vor wenigen Tagen hatte das Bundesverfassungsgericht die Beschwerde eines 96-Jährigen abgewiesen, der für haftfähig gehalten wurde und seine Haftstrafe absitzen muss. Oskar Gröning, ein früherer „Buchhalter von Auschwitz“, wurde im Juli 2015 vom Landgericht Lüneburg wegen Beihilfe zum Mord in 300.000 Fällen rechtskräftig zu einer Haftstrafe von vier Jahren verurteilt. Gröning hatte wegen seines hohen Alters und angeblich schlechten Gesundheitszustands sofort Berufung eingelegt, die aber vom Bundesverfassungsgericht abgelehnt wurde. Gröning musste im Januar 2018 seine Haft antreten. Die Gerechtigkeit kommt zwar manchmal spät, aber sie kommt immer. Entschuldigungen und Reue können verspätet kommen, aber sie müssen kommen. Eine große Schuld reduziert sich nicht von selbst.

Was uns verblüfft und verwirrt, ist, dass sich die Haltung der Bundesregierung nicht in den Äußerungen des deutschen Botschafters in China widerspiegelt. Für einen Botschafter in China ist es wichtig, die Geschichte Chinas zu verstehen. Der deutsche Botschafter sollte ein tieferes Verständnis für die korrekte Haltung gegenüber der Geschichte und den Opfern an den Tag legen, ganz zu schweigen von der grundlegenden Wahrheit, die in China jedes Kind kennt: Nur wer um Entschuldigung bittet, kann auf Vergebung hoffen.

(Der Autor ist Beobachter für internationale Fragen) 

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