Von Li Daokui
Steigende Wohnungskosten in den Städten, eine hohe Steuerlast und ein enormer Leistungsdruck lasten auf Chinas Mittelschicht, die sich ihre Stellung hart erarbeitet hat, aber nun um ihre Zukunftsaussichten bangt.
(Illustration: Luo Xuan, Global Times)
Viele Chinesen sind dieser Tage mit dem Konzept der „Middle-Income Trap“, der Falle des mittleren Einkommens, vertraut und schenken diesem Problem ihre Aufmerksamkeit. Sie haben eine Auge darauf, wann China die Schwelle erreichen und zur Gruppe der Industrieländer aufsteigen wird. Jedoch haben Langzeitstudien gezeigt, dass die Falle des mittleren Einkommens nicht die größte Gefahr für die chinesische Wirtschaft darstellt. China weist bereits drei wünschenswerte Bedingungen auf, die Länder besitzen, die aus der Falle entkommen konnten: Eine stabile Regierung, welche die Entwicklung einer marktbasierten Wirtschaft fördert, steigendes Humankapital und ein hoher Offenheitsgrad.
China könnte sich jedoch mit der Mittelschichtsfalle einer gefährlicheren Falle gegenüber sehen. Denn die chinesische Mittelschicht, die aus gut ausgebildeten Menschen mit mittleren bis hohen Einkommen besteht, ist zutiefst über ihre persönlichen und familiären Zukunftsaussichten beunruhigt und verliert immer mehr den Glauben an die Entwicklung ihres Landes. Dieser Verlust an Vertrauen in soziale und wirtschaftliche Entwicklung kann zu sozialer Instabilität und sogar zu politischer Unsicherheit führen.
Die Entstehung einer Mittelschichtsfalle ist in China zum einen dadurch zu beobachten, die Mittelschicht die Bürde einer hohen Steuerlast trägt und sich um über die Wachstumsaussichten ihres verfügbaren Einkommens sorgt. Chinas Einkommenssteuer trifft hauptsächlich die Mittelschicht, deren Haupteinkommensquelle allein aus ihren Gehältern besteht. Der Einkommenssteuersatz beträgt bis zu 45 Prozent. Die Schwelle des monatlichen Freibetrags liegt bei 3.500 Yuan (rund 465 Euro) und es gibt keinerlei Steuervergünstigungen für Haushalte.
Des Weiteren sieht sich die Mittelschicht mit den in die Höhe schnellenden Wohnungskosten in den Großstädten konfrontiert. Diese Last wiegt besonders schwer auf den Schultern jener Generation, die nach den Achtziger- und Neunzigerjahren geboren wurde und erst seit einigen Jahren berufstätig ist. Diese jüngeren Beschäftigten sind auf die finanzielle Unterstützung ihrer Eltern und Verwandten angewiesen, um sich eine Wohnung in der Großstadt zu leisten.
Ein weiterer Grund für die Beklemmung der Mittelschicht sind die steigenden Kosten für Bildung, Gesundheitsversorgung und Verrentung. Die Regierung bietet nur eingeschränkte Bildungsförderung für Kindergärten, Grund-, Mittel- und Oberschulen. Die steigenden Gesundheitskosten würden für Mittelschichtfamilien eine finanzielle Katastrophe darstellen, falls ein Haushaltsmitglied schwer erkranken sollte. Dies führt schließlich auch zu Besorgnissen über Ruhestandaufwendungen.
Das beunruhigendste Szenario für die Mittelschicht wäre es, wenn sie trotz einer wachsenden Volkswirtschaft nur geringe Vorteile daraus ziehen könnten, während die wohlhabende Schicht aus einem gesicherten Zugang zu verschiedenen Ressourcen und mehreren Einkommenskanälen Vorteile zieht und die Regierung durch Besteuerung und Gebühren von der nationalen Einkommensverteilung profitiert. Im Gegensatz zur Mittelschicht können Geringverdiener ihr Einkommen sichern, indem sie sich auf die Verbesserung des Sozialversicherungssystems verlassen.
Die Mittelschicht schwankt daher einerseits zwischen dem Klagen über den Mangel an weiterer Entwicklung und der Abneigung gegenüber der Gesellschaft andererseits.
Der Weg aus der Falle
Weitreichende Anstrengungen sind erforderlich, um diese Mittelschichtsfalle zu vermeiden. Zunächst müsste die Zentralregierung mit Finanz-und Steuerreformen Klarheit schaffen. Derzeit glauben einige Leute in den politischen und akademischen Gemeinschaften, dass es bei den Reformen der bestehenden Steuer- und Abgabenrahmenbedingungen allein mit einem Wechsel von indirekter zu direkter Besteuerung getan wäre. Das wäre jedoch wenig sinnvoll.
Direkte Besteuerung trifft hauptsächlich die Mittelschicht, deren Einkommen und Anlagen als vergleichsweise transparent und offen angesehen werden. Allgemein sind Löhne und Gehälter direkt besteuerbar. Daher sieht sich die Mittelschicht oft als Opfer und bekommt das Gefühl, dass sie trotz ihrer Arbeit unter einer höheren Steuerlast leiden würde.
Stattdessen sollte China sich am deutschen Modell einer entwickelnden Marktwirtschaft orientieren, welches indirekter Besteuerung den Vorzug gibt. Indirekte Besteuerung trifft hauptsächlich die Unternehmen. Daraus entsteht ein positiver Kreislauf zwischen Steuerzahlern und der Regierung. Unternehmen zahlen mehr Steuern, um sich für staatliche Unterstützung zu qualifizieren, was wiederum dazu führt, dass geschäftliche Entwicklungssorgen ausgeräumt werden können.
Bei der Besteuerung sollte die effektive Steuerlast der Mittelschicht einkalkuliert werden. Das Augenmerk sollte darauf liegen, mehr Steuern von Unternehmen und jenen zu erheben, die stark vom Kapital profitieren, damit der Mittelschicht keine übermäßigen Steuern aufgebürdet werden.
In Bezug auf den Wohnungsmarkt wäre es ratsam, spezielle Wohlfahrts- und Sicherheitsmaßnahmen zu ergreifen, die gezielt für die Mittelschicht entworfen wurden. Großstädte wie Beijing, Shanghai, Guangzhou und Shenzhen sollten der Mittelschicht erschwingliche und langfristige Mietoptionen anbieten, damit Anwohner sich das Leben in der Stadt leisten können, auch wenn es nicht zum Eigenheim reicht. Beispielsweise leben viele Lehrer von Grundschulen und weiterführende Schulen in Hongkong und Singapur in überdurchschnittlich guten Sozialwohnungen, die von der Regierung gestellt werden. Durch diese Entlastung wird ihnen nicht das Gefühl gegeben, durch die überirdischen Wohnungspreise mit dem Rücken zur Wand zu stehen.
Zusätzlich sollte China danach streben, den Druck auf Studenten zu verringern, von denen viele hohe Erwartungen für ihr Abschneiden in Wettkämpfen und Klausuren haben. Durch einen Vorstoß im Bildungsbereich für einen Wandel hin zur Konkurrenzlosigkeit könnten Schüler und Studenten sich auf mehr Leistungen als nur Noten konzentrieren. Zudem würde dies auch weniger Stress für die Eltern aus der Mittelschicht bedeuten, die im Allgemeinen sehr hohe Erwartungen an die Bildung ihrer Kindern hegen.
Am wichtigsten wäre es, Schritt für Schritt ein transparentes und gesellschaftlich gerechtes System zu schaffen, um die öffentliche Sicherheit und Freiheit zu gewährleisten und die unguten Gefühle jener zu zerstreuen, die als Mittelschicht gelten.
Es scheint wahrscheinlich, dass China der „Middle-Income Trap“ entkommen wird, doch die Mittelschichtsfalle zu vermeiden, bedarf weiterer Überlegungen. Es ist eine Angelegenheit, welcher die Gesamtheit der chinesischen Gesellschaft in Zukunft ihre Aufmerksamkeit schenken sollte.
Der Autor ist Direktor des Zentrums für Weltwirtschaft an der Tsinghua-Universität.