Peter Frankopan, britischer Historiker und Autor des Buches „Licht aus dem Osten: Eine neue Geschichte der Welt“, über die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des Welthandels.
Anmerkung der Redaktion:
Das Buch von Peter Frankopan, „Licht aus dem Osten: Eine neue Geschichte der Welt“ (englischer Originaltitel: „The Silk Roads: A New History of the World“), wurde in Großbritannien zu einem unerwarteten Erfolg und konnte sich einige Wochen auf den Bestsellerlisten halten. Was denkt Frankopan, Historiker und Leiter des Zentrums für Byzantinische Studien an der Universität Oxford, über die chinesische „Belt and Road“-Initiative? Kürzlich sprach er mit Sun Wei, Korrespondent der Global Times (GT) in London, über die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des Welthandels.
GT: Ihr Buch behandelt die Geschichte der historischen Seidenstraßen. Warum sollte der Westen die historische Bedeutung der Seidenstraßen und den Beitrag nicht-westlicher Länder zur Weltgeschichte nicht vernachlässigen?
Frankopan: Es gibt wahrscheinlich zwei Möglichkeiten, diese Frage zu beantworten. Erstens, warum sollten wir die Geschichte studieren? Die Vergangenheit hilft uns, die Gegenwart zu verstehen, und wird uns hoffentlich auch dabei helfen, die Zukunft zu verstehen. Mark Twain sagte, „Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie reimt sich“. Sie können aus der Vergangenheit lernen, aus der Beobachtung von Machtübergängen, wie die Menschen mit Krisen und Herausforderungen, einem Überangebot an Geld und Inflation umgehen. Man kann daraus lernen, wie Menschen in der Vergangenheit Dinge angingen - und ob sie damit erfolgreich gewesen (oder gescheitert) sind.
Was die asiatischen Länder betrifft, so gibt es ein anderes berühmtes Sprichwort, „Die Geschichte wird von den Siegern geschrieben“. Man kann die letzten 300 bis 400 Jahre, trotz der großartigen Geschichte Chinas, Indiens, Russlands, des Irans und so weiter, als „Das europäische Zeitalter“ beschreiben.
Vor hundert Jahren wurden mehr als 80 Prozent aller Ladungen aus China durch britische Schiffe verschifft. Europa beherrschte die Welt. Die geschichtliche Perspektive beschränkt sich auf die Beschreibung, wie diese Länder Bedeutung erlangten.
Ein Teil meines Buches soll erklären, wie Europa so dominierend wurde, da es für einen viel längeren Zeitraum der Menschheitsgeschichte vollkommen irrelevant gewesen war. Europa war am falschen Ende des eurasischen Kontinents. Vor eintausend Jahren kam man nicht nach Oxford oder Cambridge zum Studieren, da sich fast alle großen Zentren des Lernens in Asien befanden. Auch vor 500 Jahren waren die großen und wichtigen Lernzentren in China, Indien, Zentralasien und Ägypten.
Aber die Welt ändert sich. Darum ist es wichtig zu erklären, dass die Verschiebung wirtschaftlicher und politischer Macht in Richtung Asien nicht neu oder revolutionär ist, sondern der Rückkehr zu einer früheren Weltordnung entspricht. Asien wacht nicht nach 2.000 Jahren des Schlafens auf. Was in Asien geschah ist ungeheuer bedeutend für die gesamte Entwicklung, aber besonders wichtig um zu verstehen, warum Europa überhaupt erst bedeutend wurde. Die Imperien Spanien und Portugal, Holland und vor allem Großbritannien versuchten alle, Asien zu kontrollieren, den Handel, die Politik und Ressourcen, und sie borgten sich Teile der Kultur. Es scheint mir, dass wir die damalige Welt besser verstehen müssen, als wir es für gewöhnlich tun. Wir betrachten die Geschichte zu häufig anhand individueller, kleiner geografischer Einheiten, sehen aber nicht die Verbindungen. Über die Geschichte Asiens, die sehr unterschiedlich und verschieden ist, und ihre wesentliche Bedeutung für die Weltgeschichte, wurde nie wirklich geredet.
Sie behandeln „Die neuen Seidenstraßen“ und erwähnen auch die „Belt and Road“-Initiative des chinesischen Präsidenten Xi Jinping in Ihrem Fazit. Worin gründet sich die besondere Bedeutung der alten und neuen Seidenstraßen für die Verbindung der Nationen mit ihrer unterschiedlichen Geschichte, Kultur und Religion?
Es gibt viele Gründe, warum die „Belt and Road“-Initiative wichtig ist. Erstens ist sie wichtig für China, zur Beibehaltung des Wirtschaftswachstums insbesondere der Westprovinzen des Landes. Das Großprojekt Infrastruktur ist sehr wichtig für China.
Ich habe in den letzten sechs Monaten viel Zeit damit verbracht, das Wachstum chinesischer Groß- und Megastädte zu verfolgen. Um diese großen städtischen Bevölkerungen zu stützen, muss China sicherstellen, dass es Zugang zu Energie– und Nahrungsmittelressourcen hat und gute Beziehungen zu seinen Nachbarn unterhält. „Belt and Road“ steht für Zusammenarbeit. China handelt nicht nur im eigenen Interesse, sondern berücksichtigt auch Vorteile für andere Länder. Das scheint mir eine positive und aufgeklärte Weise zu sein, sich mit der Umwelt auseinanderzusetzen.
Wenn Sie ein wunderschönes, großes Haus aus Gold und Marmor besitzen, aber Ihre Nachbarn arm sind, dann entstehen Probleme. Der beste Weg ist, den Reichtum etwas zu streuen und sicherzustellen, dass die ganze Nachbarschaft wohlhabend ist, da dies in jedermanns langfristigem Interesse - einschließlich Chinas - liegt.
Wir alle haben komplizierte Beziehungen mit unseren Nachbarn. Wir verbringen viel Zeit mit ihnen, und diejenigen, die an unserer Seite leben, können zuweilen die problematischsten sein; aber sie können auch diejenigen sein, die uns am meisten helfen. Der Aufbau solcher Beziehungen benötigt viel Zeit. Um Vertrauen zwischen Menschen mit verschiedenen Sprachen und Kulturen zu schaffen, müssen Sie zusammen investieren, miteinander sprechen und lernen, sich gegenseitig zu vertrauen. Das ist keine einfache Aufgabe. Alle Länder entlang der „Belt and Road“ sind interessiert an Wegen, um Probleme zu besprechen. Sie wollen sich auch über wirtschaftliche Vorstellungen in ihren Ländern, Sicherheit, Nachrichtendienste und Terrorismus austauschen. Diese Sprache der Zusammenarbeit unterscheidet sich sehr von dem, was wir in den letzten zwei oder drei Monaten hier in Europa gesehen haben.
Die außenpolitische Signatur Xis, die „Belt and Road“-Initiative, ist äußerst wichtig für Chinas langfristiges Wirtschaftswachstum, den Energie- und Ressourcen-Bedarf sowie die Stabilität der gesamten Region. Es macht keinen Sinn wenn China reicher und stärker wird, die Nachbarstaaten aber scheitern. Die Suche nach Möglichkeiten für infrastrukturellen Aufbau und zwischenstaatliche Kooperation sowie die Darlehensvergabe, um Gesellschaften in anderen Ländern beim Wachstum zu helfen, scheint mir das richtige Wachstumsmodell zu sein.
Die Initiative versucht vorauszusehen, wie die Welt in 20 oder 30 Jahren aussehen wird, und versucht sich darauf vorzubereiten. Durch riesige Geldmengen, die in Projekte wie Eisenbahnen, Straßen und Energiesysteme fließen, soll die Zukunft planbar werden. Das ist eine kluge Politik.
Sie schrieben einen Artikel für die Huffington Post, mit dem Titel „Das Wiederaufleben der asiatischen Seidenstraße kündet vom Ende des westlichen Zeitalters“. Warum?
Wenn ich über das Ende des Zeitalter des Westen spreche, sage ich dies aus der Sicht des Historikers, der weiß, dass alle Kulturen und politischen Zentren letztendlich dem Niedergang und Verfall erliegen. Ich denke, dass das, was wir im Moment überall auf der Welt sehen - ein Anstieg des religiösen Fundamentalismus, Probleme im Nahen Osten, ein gestärkter Iran, wachsende Ambitionen in Süd- und Südostasien sowie China - alles Teile einer Veränderung des Gravitationszentrums der Welt. Es ist kein Zufall, dass Russland und die Türkei, zwei entscheidende Länder, die sich ihrer Position zwischen dem Osten und Westen sehr bewusst sind, jetzt damit beginnen zum Ersteren, und weg vom Letzteren, zu schauen.
Aber es gibt kein Zweifeln an der Dimension der Veränderungen. Vor hundert Jahren kontrollierten díe Briten ein Viertel der Welt. Großbritannien errichtete sein Imperium, indem es diese Punkte zusammenführte, zu Großbritanniens „Belt and Road“. Noch bis vor 30 oder 40 Jahren konnten Sie aus London mit dem Schiff nach China fahren ohne britisches Gebiet zu verlassen (Über Westafrika, Kapstadt, Mumbai, Sri Lanka, und dann Hongkong). Dieses Netzwerk existiert nicht mehr. Die britischen Handelsbasen verteilten sich über den gesamten Nahen Osten und Russland, und sie wurden sehr sorgfältig geschützt.
Es ist keine Überraschung, dass China ein ähnliches System aufzubauen versucht. Dies ist die richtige Strategien, folgt dem Modell früherer, sich im Wachstum befindlicher Imperien, die sich um den Aufbau zukünftiger Verbindungen bemühen. Die Schwierigkeit für China besteht darin vorauszusehen, welche Probleme entlang des Weges, besonders während schneller Veränderungen, entstehen werden. Die Ablehnung der Bitte eines großen und mächtigen Freundes ist sehr schwer. China sollte bei Verhandlungen mit anderen Ländern nicht zu viel verlangen.
Der Westen ist zunehmend besorgt über China, insbesondere über die Errichtung eines neuen Netzes, das sich über den Erdball spannt. Wie kann China dieser Besorgnis begegnen?
Das ist die schwierigste Frage, der China im nächsten Jahrzehnt gegenüberstehen wird. Jeder Schritt, den China aus seiner defensiven Position heraus macht, wird durch den Rest der Welt als aggressive Position betrachtet. Das ist sehr gefährlich. Es ist wichtig auszuarbeiten, wie man diese Ängste neutralisieren kann. Wie bei jeder Beziehung ist Kommunikation der Schlüssel - und der einzige funktionierende Weg. Die eigenen Absichten und Motivation zu erklären ist sehr wichtig.
Es besteht eine Diskrepanz der Erwartungen während die militärischen, geopolitischen, politischen und wirtschaftlichen Aussichten Chinas wachsen. Es gibt Dinge, die man zur besseren Vorbereitung und Planung machen kann, und es gibt Wege, wie sich China besser präsentieren kann. China, besonders auf der Regierungsebene, reagiert nicht immer positiv auf Kritik. Das erste, was jeder erfolgreiche Politiker, Unternehmer und langfristige Planer lernen muss, ist die Fähigkeit zuzuhören. Chinesische Entscheidungsträger müssen vorbereitet und gewillt sein, anderen Stimmen zuzuhören.