In hiesigen Breitensportarten wie Tischtennis und Badminton fördert die strenge Wettkampf-Selektion den Anreiz insbesondere älterer Athleten für einen Staatsangehörigkeitswechsel. Die hohe Anzahl chinesischstämmiger Teilnehmer, verteilt auf die Mannschaften vieler Nationen, beschert den Zuschauern in Rio teilweise paradoxe Spielsituationen.
Mexikos Tauchtrainerin Ma Jin bei den Panamerikanischen Spielen in Toronto im letzten Jahr, flankiert von Rommel Pacheco, Sieger auf dem 3-m-Sprungbrett (links) und Paola Espinosa, Siegerin auf dem 10-m-Turm. (Xinhua)
In globalisierten Zeiten bei den Olympischen Spielen anzutreten bedeutet potenziell, gegen ehemalige Mannschaftskameraden zu kämpfen, die jetzt konkurrierende Nationen vertreten - eine Realität, der sich das chinesische Team in Rio de Janeiro stellen muss.
Sportarten mit einer starken Basis in China erzeugen viele Weltklasse-Athleten, und eine steigende Zahl wird in anderen Ländern begrüßt, um ihre Fähigkeiten bei internationalen Wettkämpfen, wie etwa bei den Olympischen Sommerspielen, zu nutzen.
Allein im Tischtennis haben sich nicht weniger als 30 Athleten, die in China geboren wurden oder chinesische Vorfahren besitzen, für einen der 140 Einzelwettbewerbs-Plätze der Olympischen Spiele von Rio qualifiziert. Nicht mitgezählt wurden die 12 Teilnehmer Chinas, Hongkongs und Chinesisch Taipehs.
Als am Freitag der Damen-Mannschaftswettbewerb zwischen China und Brasilien begann, sah die erste Begegnung wie eine Partie der chinesischen Nationalspiele aus, weil beide Spielerinnen dieselbe Sprache sprachen und einen ähnlichen Offensivstil verwendeten.
Die Athletin im brasilianischen Trikot, die regen Beifall der Menge erhielt, war Gui Lin. Sie ist chinesischen Ursprungs und siedelte 2005 in die südamerikanische Nation über.
Obwohl Gui gegen ihre Gegnerin Liu Shiwen, die Nummer eins der Welt, in nur 19 Minuten verlor, war für sie die Teilnahme an den Olympischen Spielen – und die Vertretung des Gastgeberlandes – die Erfüllung eines Traumes.
„Wenn ich in China geblieben wäre, hätte ich bei den Olympischen Spielen nicht antreten können, weil es dort zu viele Spieler gibt. Es war keine leichte Entscheidung, aber es hat sich gelohnt,“ sagte die 22-Jährige, die in Sao Paulo lebt und trainiert.
Das Match unterstrich eine Tendenz, die bis in die 1980er Jahre zurückgeht, als chinesische Athleten aufgrund der Aussicht auf bessere Karrierechancen ihre Staatsangehörigkeit wechselten.
Als Weltmacht in Sportarten wie Tischtennis, Badminton und Tauchen, mangelt es China dank des rigorosen, staatlich finanzierten Fördersystems nie an Talenten. Jedoch zwang die harte Punkte-Konkurrenz in der Nationalmannschaft einige Spitzenathleten, die sich der 30 nähern oder das Alter bereits überschritten haben, insbesondere nach Europa abzuwandern, um weiter an internationalen Wettkämpfen teilnehmen zu können und einen höheren Lebensunterhalt mit ihrer durch harte Arbeit erworbenen Fähigkeiten zu verdienen.
Die zwei ältesten Tischtennisspieler der Olympischen Spielen von Rio, He Zhiwen
(54) und Ni Xialian (53), waren unter der ersten Generation von Nationalspielern, die zu Staatsbürgern europäischer Nationen wurden. Chinesische Medien tauften sie „die ausländische Legion“.
„Die Olympischen Spiele sind so außerordentlich, dass man ein solches Angebot nicht ablehnen kann,“ sagte He, der seit der Erlangung der Staatsbürgerschaft im Jahre 2002 für Spanien antritt. „Weil ich in dieses Land auswanderte, konnte ich meine Karriere weiterzuführen. Für diese Unterstützung bin ich dankbar.“
Geboren und aufgewachsen in der ostchinesischen Provinz Zhejiang war er Teil der chinesischen Weltmeisterschafts-Mannschaft von 1985. Er gewann damals eine Bronzemedaille im Männer-Doppel. Einer seiner ehemaligen Mannschaftskameraden ist Cai Zhenhua, der aktuelle Vize-Sportminister.
Ni, die an ihren vierten Olympischen Spielen für Luxemburg teilnimmt, schlägt in die gleiche Kerbe wie He wenn sie sagt, dass sie aufgrund der emotionalen Verbindung mit ihrer Wahlheimat weiter im Wettbewerb steht.
„Ich kann nicht einfach aufhören, da sie (die Luxemburger Tischtennisföderation) immer wieder auf mich zukam und mich bat zu spielen. Ich fühle mich verantwortlich für Luxemburg als Schwiegertochter dieses Landes“, sagte Ni, die ihren Trainer Tommy Danielsson heiratete, nachdem sie sich 1991 in dem europäischen Land niedergelassen hatte.
Eine jüngere Generation chinesischer Talente tritt in ihre Fußstapfen, wie Liu Jia, die sich der Aufgabe widmet, die Überlegenheit ihrer angestammten Heimat herauszufordern. Nach ihrer Auswanderung nach Österreich im Jahre 1997 stahl Liu das Rampenlicht der Weltmeisterschaften 2001, indem sie Chinas Yang Ying in der dritten Dameneinzel-Runde besiegte.
Liu, die mit 11 Jahren angefangen hat, in Beijing Tischtennis zu spielen, wurde als Österreichs Fahnenträgerin für die Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele von Rio gewählt, um ihre fünfte Olympiateilnahme für Österreich seit Sydney 2000 herauszustellen.
Außer beim Tischtennis kann man chinesische Namen auch in den Mannschaftsaufstellungen mehrerer Länder für Badminton und Tauchsport-Wettkämpfe finden.
Zehn chinesisch-australische Athleten enthält die Delegation aus Down Under, während vier Athleten chinesischer Abstammung in Kanadas Farben antreten.
Jedoch kann die Umstellung auf eine unterschiedliche Kultur und die Sprachbarriere es einigen chinesischen Athleten erschweren, sich in ihrer neuen Umgebung einzufügen.
Feng Yijun, ein 19-jähriger Tischtennisspieler, der mit acht Jahren aus der Provinz Jiangsu in die Vereinigten Staaten auswanderte, hat gesagt, dass es nicht immer leicht ist.
„Wenn Sie zu spät in die Vereinigten Staaten auswandern, lohnt es sich meiner Meinung nach nicht“, sagte Feng, der in seinem ersten Herreneinzel bei den Olympischen Spielen von Rio gegen den Veteranen He spielte. „(Nachzügler) werden eine schwierige Zeit haben, die Sprache zu lernen und sich an die Gesellschaft zu gewöhnen. Zudem ist die lange Wartezeit auf die Staatsbürgerschaft ein harter Prozess.“
Und nicht alle Athleten chinesischen Ursprungs treffen in ihrer neuen Nation auf einen freundlichen Empfang, da manchmal die Sorge ausgedrückt wird, ihre Anwesenheit könnte die Entwicklung einheimischer Talente behindern.
„Es gab schon immer Beschwerden von einheimischen Fans“, sagte Peter Hubner, Sportreporter, der für die deutsche Nachrichtenagentur Deutsche Presse Agentur über Tischtennis berichtet. „Sie sind besorgt, dass sich der Einsatz chinesischer Einwanderer auf Ressourcen und zugeteilte Finanzmittel für die Förderung heimischer Talente auswirken könnte.“
„Es macht Sinn. Aber für die zweite Generation von Chinesen wird es leichter sein, akzeptiert zu werden.“