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Chinesisch lebt – Eine jahrtausendealte Zeichensprache im Internetzeitalter

(German.people.cn)
Donnerstag, 22. Oktober 2015
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Von Verena Menzel

Sprache entwickelt sich heute schneller denn je. Im Zeitalter von Globalisierung, Internet und sozialen Medien pflanzen sich technische und gesellschaftliche Neuerungen rund um den Erdball einfacher fort. Und nicht nur unser Leben, auch unsere Sprache muss mit diesem atemberaubenden Tempo der Zeit Schritt halten.


Nicht auf den Mund gefallen: Ob durch Werbung oder Internetsprache – Chinas junge Generation kreiert heute ihre ganz eigenen Begriffe und Modewörter, um der modernen Wirklichkeit und den neuesten Trends sprachlich gerecht zu werden.

Das Chinesische bildet hier keine Ausnahme. Doch anders als unsere europäischen Sprachen basieren chinesische Wörter nicht auf einer lautlichen Abbildung durch ein Alphabet, sondern bestehen aus einem, meist zwei Schriftzeichen, die eine jahrtausende lange Evolution durchlaufen haben und anders als unser sprachliches Lautmaterial nicht beliebig formbar sind. Seit der letzten großen Sprachreform unter Mao Zedong im Jahr 1956 bestehen die auf dem chinesischen Festland verwendeten Hanzi unverändert in ihrer heutigen, vereinfachten Form.

Doch wie reagiert eine Sprache wie Chinesisch auf die Anforderungen der Moderne? Werden die statischen, graphisch in gleichgroße quadratische Kästchen pressbaren Schriftzeichen für die Sprachgemeinschaft in der Volkrepublik zum Klotz am Bein? Keineswegs! Die chinesische Sprache reagiert auf das Zeitalter der Digitalisierung genauso flexibel wie die weltweit oft tonangebenden europäischen Sprachen. Und so hat sich auch in China in den vergangenen Jahrzehnten eine beachtliche Zahl neuer Wörter und Ausdrucksweisen herausgebildet, die die Zeichensprache ins 21. Jahrhundert katapultiert haben.

„Unser Wortschatz muss sich ständig an neue Gegebenheiten und Sachverhalte anpassen. Und diese Anpassung erfolgt hauptsächlich durch die Bildung neuer Wörter oder die Übernahme neuen fremden Wortgutes, also durch Entlehnungen“, sagt die deutsche Sprachwissenschaftlerin Dr. Doris Steffens, die sich am Institut für deutsche Sprache in Mannheim mit Neologismen und lexikalischen Innovationen im Deutschen beschäftigt. Das meiste Vokabular, dass von Sprachgemeinschaften weltweit absorbiert werde, stamme ursprünglich aus dem Englischen, erklärt sie. „Vor allem seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hat durch die technische, wissenschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung der neue Wortschatz starkzugenommen.“ Und da die USA hierbei lange in vielen Bereichen dominierten, hätten überwiegend englische Begriffe Einzug in andere Sprachen gefunden.

Auch in europäischen Sprachen vollzieht sich der sprachliche Wandel aber meist keineswegs durch eine Eins-zu-eins-Übernahme englischer Wörter, sondern durch die Bildung neuer Begriffe durch eine Integration des Fremden in das eigene Sprachsystem. Teils schöpfen die Sprachgemeinschaften dabei auch ganz eigene Neologismen, um neue Gegebenheiten und Dinge sprachlich zu repräsentieren.


Ganz wie im Englischen: Auch im Chinesischen bezeichnet man Geldautomaten als „ATM“. Dass fremde Begriffe derart eins-zu-eins übertragen werden, bildet in China allerdings die große Ausnahme. Häufiger sind lautliche Entlehnungen und Sinnentsprechungen.

Doch wie findet sprachlicher Wandel im Chinesischen statt, einer Sprache, deren Schrift-, Laut- und Grammatiksystem so grundlegend anders sind als das der eng verwandten eurpäischen Sprachen wie Englisch, Deutsch, Französisch und Spanisch?

Direkte Übernahmen neuer Begriffe wie zum Beispiel des englischen Wortes „Smartphone“, das die meisten europäischen Sprachen im Sturm erobert hat (vgl. deutsch „das Smartphone“, französisch „le smartphone“, spanisch „el smartphone“), sind im Chinesischen die große Ausnahme. Dennoch gibt es einige Beispiele für direkte Übertragungen: So haben es etwa die „App“ (im Chinesischen Buchstabe für Buchstabe A-P-P gesprochen) oder der ATM („Bankautomat“, im Chinesischen ATM机– „A-T-M jī“, wörtlich „ATM-Maschine“) direkt ins Chinesische geschafft. Selbst in vielen geschriebenen Texten werden sie mit englischen Lettern verschriftlicht.

Wesentlich häufiger ist im Chinesischen jedoch die Bildung lautlicher Lehnbegriffe, deren Klangbild anhand des vorhandenen chinesischen Silbeninventars (ein Zeichen entspricht einer Silbe) dem englischen Ursprungswort nachempfunden ist. Zur langen Liste dieser sprachlichen Neuschöpfungen der letzten Jahre zählen 三明治 (sānmíngzhì - Sandwich) , 咖啡(kāfēi - coffee), 比萨 (bǐsà - pizza), 博克 (bókè - blog), 模特 (mótè - model), 巧克力 (qiǎokèlì - chocolate), 芝士 (zhīshì - cheese), 沙拉 (shālā - salad), 卡通(kǎtōng - cartoon), 派对 (pàiduì - party), 酷 (kù - cool), 幽默 (yōumò - humor) oder拜拜 (bàibai - bye-bye), um nur einige zu nennen.

Auch Marken- und Herstellernamen finden oft durch lautliche Entsprechungen ihren Weg ins Chinesische, so etwa麦当劳 (màidāngláo – McDonald‘s), 肯德基 (kěndéjī - KFC), 奥迪 (àodí - Audi) oder 西门斯 (xīménsī - Siemens). Eine Zwischenstufe stellt hier der Kaffeehausriese Starbucks dar, der im Chinesischen 星巴克 (xīngbākè) heißt, wobei die erste Silbe 星 (xīng) wörtlich „Stern“ bedeutet und lediglich die beiden folgenden Silben als lautliche Entsprechung zu „bucks“ (巴克bākè) fungieren. 


„Stern-bucks“: Die chinesische Bezeichnung der amerikanischen Kaffeehauskette ist teils aus einer sinnlichen („Star“), teils aus einer lautlichen Entsprechung entstanden. Generell werden Markennamen in China oft durch lautliche Anlehnungen in die eigene Muttersprache übertragen.

Ein weiterer Wortbildungsmechansimus, dessen sich das Chinesische bedient, ist die wörtliche Übersetzung von Fremdwörtern: Das eingangs erwähnte „Smartphone“ bedeutet auf Chinesisch 智能手机 (zhìnéng shǒujī - „intelligentes Handy“), „Internet“ heißt 互联网(hùliánwǎng - „gegenseitig verbindendes Netz“), „SMS“ 短信(duǎnxìn - „kurzer Brief“ bzw. „kurze Nachricht“), „Software“ 软件(ruǎnjiàn - „weicher Gegenstand“) und „Hotdog“ 热狗 (règǒu - „heißer Hund“).

Doch Chinas Muttersprachler haben auch viele einprägsame Eigenkreationen geschaffen, um den Anforderungen der modernen Lebensumwelt gerecht zu werden. Der Weg hierzu führt über die Kombination bestehender Schriftzeichen und ihrer Bedeutungen. Darunter fallen etwa die „Handmaschine“ (手机shǒujī) für Handy, das „elektrische Gehirn“ (电脑diànnǎo) für Computer oder das „elektrische Gespräch“ (电话diànhuà) für Telefon oder Telefonat.

Gerade im Medien- und IT-Bereich, wo Innovationen unsere Lebens- und Kommunikationsweise revolutioniert haben, sind zudem vielerorts bestimmte Produkt- oder Firmennamen zum Synonym bestimmter Tätigkeitswörter avanciert. Man denke nur an Begriffe wie googeln, twittern oder skypen. Auch in China sind ähnliche Wörter ganz selbstverständlich in den täglichen Sprachgebrauch übergegangen. So sagt der Chinese beispielsweise in Anlehnung an Chinas größte Suchmaschine Baidu.com„Ich baidu das mal!“ (我百度一下!Wǒ bǎidù yīxià) oder„Lass uns QQ-en“ (咱们QQ吧Zánmen QQ ba) in Anspielung auf Chinas beliebten Messanger-Service QQ, ein Pendant zum im Westen verbreiten Skype. Immer öfter hört man auch „Wechatte mich!“ (给我微信! Gěi wǒ wēixìn) inspiriert durch die beliebte Nachrichten-App WeChat (chinesisch 微信 Wēixìn), die Funktionen von WhatsApp und Facebook vereint.


Ich baidu das mal! Auch in China sind bestimmte Produkt- oder Firmennamen aus dem Bereich der neuen Medien zum Synonym bestimmter Verben geworden. So wird in China „baidu-t“, während bei uns „gegoogelt“ wird.

Ein neues Experimentierfeld, in dem der Umgang mit Sprache weltweit besonders kreativ ausfällt, ist ohne Frage das Internet. Besonders deutlich wird das in Chaträumen und den Kommentarfunktionen im Web 2.0. Hier muss Kommunikation eine gewisse Sprachökonomie erfüllen. Während die Netizens in vielen westlichen Alphabetssprachen gerne auf Abkürzungen zurückgreifen (z.B. „lol“ – laugh out loud oder „omg“ – oh my god), haben chinesische Netizens eine Vorliebe für Zahlencodes, die lautlich an bestimmte chinesische Ausdrücke erinnern. Zu diesen Lautspielen zählt etwa die Zahlenkombo „520“ (gesprochen wǔèr líng), die an den Ausspruch 我爱你(wǒài nǐ) “Ich liebe dich“ erinnert. Weitere Beispiel sind 88 (bābā) als Anlehnung an „Bye bye“ oder 687 (liùbāqī), im Klang ähnlich zu对不起 (duì bù qǐ - „Entschuldigung; es tut mir leid“).

Manche neue Wörter haben im Chinesischen eine regelrechte Flut neuer Begriffe hervorgerufen, sind zu einem eigenen Wortbildungsinstrument avanciert. Ein Beispiel hierfür ist das Adjektiv微 (wēi), das „sehr klein“ oder „winzig“ bedeutet und zunächst für die Übertragung des englischen „Mikroblog“ (微博 wēibó) verwendet wurde. Inspiriert von diesem Lehnwort hat sich mittlerweile im Chinesischen eine ganze Reihe weiterer Begriffe mit der Vorsilbe 微 (Mikro-) herausgebildet. Das Wortfeld reicht von „Mikronachrichten“ (微新闻wēixīnwén) und Mikrogeschichten (微小说 wēixiǎoshuō), über Mikro- bzw. Kurzfilme (微电影 wēidiànyǐng) bis hin zur Bezeichnung der Nachrichten-App Wechat (微信wēixìn, wörtlich „Mikromessage“). In Chinas Online-Enzyklopädie Baidu Baike finden sich zudem Schlagwörter wie „Mikrokultur“ (微文化 wēiwénhuà) oder „Mikroleben, Mikrolebensgefühl“ (微生活 wēishēnghuó), ja von einem regelrechten „Mikrozeitalter“ (微时代 wēishídài) ist die Rede.

Ein weiteres interessantes Beispiel ist das Verb 拼(pīn) von 拼合(pīnhé) „zusammenfügen, zusammenstückeln“ bzw. 拼凑 pīncòu ugs. „etw. zusammenstoppeln/zurechtzimmern/zusammenstückeln“. Im Zeitalter des Vormasches von Apps und Social-Media-Plattformen hat auch dieses Zeichen Einzug in zahlreiche Wortneuschöpfungen gefunden, darunter拼车(pīnchē - „Carsharing“), 拼房(pīnfáng - „sich eine Wohnung teilen“, 拼书(pīnshū- „Büchersharing“) oder拼桌 (pīnzhuō - „sich einen Tisch teilen“).

Und selbst die scheinbar letzten Bastionen der alten sprachlichen Tradition, nämlich die alten „Chengyu“-Sprichwörter, ja sogar die chinesischen Schriftzeichen selbst, werden vom frischen Wind der Moderne teils kräftig durchgewirbelt.

Die Chengyu sind klassische Redewendungen, in denen sich in nur vier Schriftzeichen bzw. Silben jahrhundertealte Weisheit und klassische Annekdoten der chinesischen Kultur in gebündelter Form manifestieren. In jüngster Zeit haben Chinas Netizens damit begonnen, immer wieder kreative Wortneuschöpfungen in diesem traditionellen sprachlichen Vier-Zeichen-Gewand zu erschaffen. Ein Beispiel ist die Redensart 不明觉厉 (bùmíngjuélì) als die auf vier Schriftzeichen verknappte Essenz des Ausspruchs 虽然不明白,但是觉得很厉害 (Suīrán bù míngbai, dànshì juéde hěn lìhai.), der sich mit „Zwar keinen blassen Schimmer haben (was jemand tut/sagt), aber es sehr eindrucksvoll finden“ übersetzen lässt. Je nach Kontext hat dieses Hipster-Chengyu zwei Lesearten: Zum einen kann es ehrfürchtige Bewunderung gegenüber Äußerungen/Handlungen echter Experten zum Ausdruck bringen („Ich kann dir zwar nicht ganz folgen, aber erstarre in Ehrfurcht vor deinem Können.“). Zum anderen kann sich der Sprecher damit über Worte/Handlungen eines „Möchtegern-Experten“ lustig machen („Ich hab’ zwar keine Ahnung, was das sein soll/worauf du hinaus willst, aber es hört sich schon mal eindrücklich an/sieht wenigstens eindrucksvoll aus.“).Die Formulierung bringt damit – ganz wie die traditionellen Chengyu als formale Vorbilder – eine spezifische Situation bzw. ein Gefühl sprachlich prägnant auf den Punkt.


DUANG! Auch die letzte Bastion des Chinesischen, nämlich die alten Schriftzeichen werden vom frischen Wind der Moderne kräftig durchgewirbelt. So erfanden Netizens im Frühjahr ein neues Schriftzeichen, um das Geräusch einer springenden Feder zu verschriftlichen. Auslöser war ein alter Werbespot der Kungfu-Legende Jackie Chan, der zuvor viral gegangen war.

Und selbst die chinesischen Schriftzeichen sind manchmal vom schöpferischen Innovationsgeist chinesischer Muttersprachler nicht gefeit. Jüngstes Beispiel hierfür ist die Lautmalerei „Duang“, die in der gesprochenen Sprache etwa das Geräusch einer springenden Feder beschreibt. Nachdem ein alter Shampoo-Werbespot der Kungfu-Legende Jackie Chan, in dem das Wort mehrfach auftaucht, im Netz viral ging, schlossen Chinas Netizens die sprachliche Lücke in der Verschriftlichung des Lauts kurzerhand, indem sie ein neues Zeichen kreierten. Hierfür fügten sie einfach die Schriftzeichen 成(Chéng) und 龙(Lóng) des chinesischen Namens des Stars zu einem neuen Zeichen zusammen.

Auch eine zeichenbasierte Sprache wie das Chinesische vollzieht durch den kreativen Umgang seiner Sprecher also einen stetigen Wandel in der Moderne, wobei äußere Einflüsse auf spannende Weise aufgenommen und integriert werden. Letztlich aber dürften mit dem steigenden Einfluss der aufstrebenden Wirtschaftsmacht China in Zukunft auch wieder vermehrt chinesische Begriffe Einzug in westliches Vokabular finden. Beispiele hierfür gibt es schon. Neben bereits seit mehreren Jahren etablierten Begriffen wie Feng Shui (风水fēngshuǐ), Qigong (气功qìgōng) oder Taichi (太极拳tàijíquán), haben es auch die Guanxi (关系guānxi) als Bezeichnung für das in China so wichtige soziale Beziehungsgeflecht in den westlichen Sprachgebrauch geschafft. Und als jüngstes Beispiel ist das chinesische Adjektiv „mafan“ (麻烦máfan) zu nennen, das mittlerweile im britischen Onlinewörterbuch Urban Dictionary geführt wird. „Mafan is a word derived from mandarin chinese that conveys the feeling of being pained or annoyed by something, about the same meaning as 'troublesome' or 'bothersome'“, heißt es dort. Viele Chinesischlerner dürften sich beim Anblick des Lexikoneintrags gefreut haben, da das chinesische Adjektiv in seinem ganzen Facettenreichtum tatsächlich „mafan“ zu übersetzen ist. 

(Quelle: China Heute)

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