Tianjin ist als eine Stadt in Nordchina nur etwa 120 Kilometer von Beijing entfernt. Trotz der Nähe zur chinesischen Hauptstadt und einer bedeutenden geschichtlichen Rolle ist Tianjin für viele Personen ein unbekannter, unwichtiger Ort. Allerdings bietet die früher auch als Tientsin bekannte Hafenstadt eine Fülle an Geschichte – und nicht nur chinesischer Geschichte.
Diese alte Karte von Tianjin zeigt die acht Konzessionsgebiete der Stadt. Im Süden befindet sich die deutsche Konzession, hier in rot gefärbt.
In acht Konzessionsgebieten haben Mitte des 19. Jahrhunderts bis Mitte des 20. Jahrhunderts Angehörige verschiedener Nationalitäten Seite an Seite mit Chinesen gewohnt. Im Tianjiner Museum für moderne Geschichte werden diese Konzessionsgebiete und ihre Einwohner anhand von privaten Fotos und alten Gemälden, die häufig von Nachfahren der Personen zur Verfügung gestellt wurden, zu neuem Leben erweckt.
Eine dieser acht Konzessionen gehörte Deutschland. 26 Jahre lang teilten Deutsche dort ihre Traditionen und Kultur mit den chinesischen Nachbarn. Einige dieser in Tianjin lebenden Deutschen haben die Geschichte und Entwicklung der Stadt stark beeinflusst. Es sind Deutsche, die in ihrem Heimatland nahezu unbekannt sind, die von der deutschen Geschichtsschreibung vernachlässigt oder nicht beachtet wurden. Deutsche, die sich in Tianjin aber einen Namen gemacht und dort in unterschiedlichen Gebieten Berühmtheit erlangt haben.
Eine dieser berühmten Persönlichkeiten ist John Rabe. Der deutsche Kaufmann wurde als „Oskar Schindler Chinas" durch das Massaker von Nanjing bekannt. Über ihn wurden sogar mehrere Filme gedreht. Dass Rabe vor seiner Anstellung in Nanjing im Jahr 1931 aber über 20 Jahre in Tianjin gelebt hat, ist weitestgehend in Vergessenheit geraten.
John Rabe ist einer der berühmtesten Deutschen in Tianjin
John Rabe ist aber wenigstens über die Grenzen Tianjins hinaus auch bei der deutschen Bevölkerung bekannt. Anders erging es da Constantin von Hanneken. Er war Ende des 19. Jahrhunderts viele Jahre lang ein bekannter Militärberater des einflussreichen Gouverneurs der Provinz Zhili und wurde zu Beginn des chinesisch-japanischen Krieges sogar zum General der chinesischen Armee ernannt. 1895 bekam er für Tapferkeit im Krieg von der Kaiserwitwe Cixi die höchste militärische Auszeichnung Chinas verliehen.
Auch das erste Tianjiner Restaurant für westliches Essen wurde von einem Deutschen gegründet. Albert Kiessling kam im Jahr 1906 nach Tianjin und eröffnete ein Jahr später sein Restaurant. Bis heute ist das „Kiessling" das bekannteste Restaurant für westliche Küche in der ganzen Stadt.
Dies sind nur einige der vielen in Tianjin berühmten deutschen Persönlichkeiten, die in ihrer Heimat nahezu unbekannt sind. Natürlich haben auch die anderen Konzessionsgebiete ihre eigenen Helden und Stars hervorgebracht. So auch die Konzession von Österreich-Ungarn. Die kleine und weltweit einzige Konzession der Monarchie hat vor allem einen sehr bekannten Österreicher beheimatet: Rolf Geyling. Der österreichische Architekt floh im Jahr 1920 nach Tianjin, wo er vor allem durch seine Fähigkeit bekannt wurde, unterschiedliche europäische Baustile in einem Gebäude miteinander zu verbinden. Bis zu seinem Tod im Jahr 1952 kreierte er zahlreiche Villen sowie Miet-, Büro- und Geschäftshäuser. Auch das 1926 in Tianjin errichtete Deutsch-Amerikanische Krankenhaus wurde von dem Österreicher entworfen.
Text: Sabrina Sicking