Trotz Konjunkturrückgang und einer Vielzahl von Herausforderungen blicken die deutschen Firmen in China optimistisch in die Zukunft. Wie Alexandra Voss, die Geschäftsführerin der Deutschen Handelskammer Nordchina, das aktuelle Geschäfts- und Investitionsumfeld in der Volksrepublik einstuft, erfahren Sie hier.
Alexandra Voss (Foto von AHK Beijing)
Die Deutsche Handelskammer in China führt seit 2007 einmal jährlich eine Umfrage über das Geschäftsklima in der Volksrepublik durch. Welches Ergebnis der diesjährigen Umfrage hat Sie am meisten überrascht?
Ein Kern-Ergebnis – das nicht überrascht, aber sehr wichtig ist – ist folgendes: Nach einem Rekordjahr sowohl mit Blick auf die Geschäftstätigkeit vieler deutscher Unternehmen in China als auch für den deutsch-chinesischen Handel im letzten Jahr erwarten die Unternehmen im 2015 zwar ein langsameres Wachstum, aber die Stimmung ist weiterhin grundlegend gut. Die Ergebnisse zeigen auch, dass China weiterhin als Produktionsstandort attraktiv bleibt. Die Mehrheit der Unternehmen, die in neue Standorte investieren, plant neue Fertigungskapazitäten, wobei insbesondere Unternehmen aus der Automobil-, Maschinenbau- und Chemiebranche expandieren.
Zum ersten Mal seit zwei Jahren rechnet die Mehrheit der befragten Firmen nicht mehr mit einem Konjunkturaufschwung. Wie stufen Sie persönlich das aktuelle Geschäfts- und Investitionsumfeld in China ein?
Die Einschätzung der Unternehmen reflektiert eine realistische Bewertung der aktuellen Lage. Das Wirtschaftswachstum Chinas hat sich in den letzten Jahren allmählich abgekühlt, allerdings hofften die Unternehmen, dass die hohen Wachstumsraten wiederkehren würden. In diesem Jahr zeichnet sich klar ab, dass die Unternehmen keinen Konjunkturaufschwung mehr erwarten und davon ausgehen, dass die chinesische Wirtschaft langsamer expandieren wird.
Chinas Wirtschaft befindet sich im Übergang zu einem gemäßigteren Wachstumsniveau. Wo sehen Sie in dieser Phase der Transformation die größten Risiken für die deutsche Wirtschaft? Und wo liegen Ihrer Meinung nach die größten Chancen?
Ein nachhaltigeres Wachstum der zweitgrößten Weltwirtschaft bietet auch bei um die 7% immer noch gewaltiges Potenzial für die Unternehmen. Die Entwicklung wird begleitet von einer Transformation der Wirtschaftsstruktur. Die deutsche Industrie in China hat schon heute eine starke Präsenz in technologie-intensiven Industrien und ist damit gut gerüstet für die Umstellung weg von der Produktion am unteren Ende der Wertschöpfungskette.
Die große Mehrheit der deutschen Firmen ist noch immer im Großraum Beijing, im Jangtse-Delta im Osten sowie im Perlfluss-Delta im Süden angesiedelt. Hinzu kommen einige kleinere Wirtschafts-Cluster in Nord- und Westchina. Dasselbe Bild bei den Investitionen. Warum zieht es die deutschen Firmen nicht ins Landesinnere, wo die Produktionskosten noch niedriger sind und das Wirtschaftswachstum höher? Woran liegt das?
Gut qualifizierte Arbeitskräfte sowie eine gut ausgebaute Infrastruktur sind von wesentlich größerer Bedeutung als billige Arbeitskräfte. Die Konzentration in den drei Ballungszentren spiegelt das wider. Auch wenn das Wirtschaftswachstum in anderen Provinzen höher sein mag, ist die Wirtschaftskraft weiterhin dominiert von dem Jangtse-Delta, dem Perlfluss-Delta sowie der Bohai-Region.
Die in China angesiedelten deutschen Unternehmen sind vor allem im Maschinenbau und in der Automobilindustrie tätig. In welchem Sektor hat die deutsche Wirtschaft in der Volksrepublik in Ihren Augen noch das größte Wachstumspotenzial?
Großes Wachstumspotenzial gibt es beispielsweise im Bereich Energie und Umwelt. Auch im Gesundheitsbereich wird es in Zukunft ein starkes Wachstum geben. Insgesamt wird die Bedeutung von Dienstleistungen weiter zunehmen. Ein weiterer Sektor, der meist nicht so im Fokus ist, ist die Landwirtschaft. Hier gibt es viel Nachholbedarf was Automatisierung angeht.
China ist das bevölkerungsreichste Land der Welt. Jedes Jahr kommen mehrere Millionen Uniabsolventen auf den Arbeitsmarkt. Trotzdem gab die Mehrheit der befragten Firmen die Suche nach qualifiziertem Personal als größte Herausforderung an. Was läuft da falsch?
Schwierigkeiten, qualifiziertes Personal zu finden, werden von den Unternehmen als eine der größten Herausforderungen genannt seit dem wir im Jahr 2007 mit der Durchführung unserer Umfrage begonnen haben. Dass dies trotz der hohen Zahl an Universitätsabgängern der Fall ist, zeigt, dass die Ausbildung in vielen Bereich nicht das leistet, was die Unternehmen benötigen. Neben mangelnden fachlichen Grundlagen fehlt es am nötigen Praxisbezug. Der Arbeitsmarkt muss sich noch den neuen Gegebenheiten anpassen.
Das Thema Korruption zählt erstmals nicht mehr zu den zehn größten Herausforderungen. Dafür bereiten vielen deutschen Unternehmen die Bürokratie, Internetrestriktionen, die mangelnde Rechtssicherheit oder die schlechte Luftqualität Sorgen. Was muss die chinesische Regierung aus Sicht der deutschen Wirtschaft unbedingt noch verbessern?
Es ist erfreulich, dass das Thema Korruption aus der Liste der Top 10 Schwierigkeiten herausgefallen ist. Insgesamt bemerken wir, dass es auch in anderen Bereichen Fortschritte gab, und hoffen, dass der positive Trend sich in den nächsten Jahren fortsetzen wird. Wichtige Themen sind dabei zum einen insbesondere weitere Fortschritte bei der Verbesserung des Marktzugangs sowie der fairen Behandlung ausländischer Unternehmen.
Werfen wir zum Schluss noch einen Blick nach vorn: Die überwiegende Mehrheit der deutschen Firmen ist optimistisch, was die Entwicklung ihres China-Geschäfts anbelangt. Einschneidende Zäsuren werden nicht erwartet. Teilen Sie diese positive Einschätzung?
China hat sich mittlerweile zu einer der bedeutendsten Regionen für die deutsche Wirtschaft entwickelt. Mit 810 Millionen US-Dollar an neuen ausländischen Direktinvestitionen in den ersten fünf Monaten haben deutsche Unternehmen auch weiter kräftig in China investiert. Die Entwicklung verdeutlicht, dass China auch bei moderaterem Wirtschaftswachstum weiter attraktiv bleibt. Die Umstellung auf ein nachhaltigeres Wachstum mit dem damit verbundenen Reformkurs und einsetzendem Strukturwandel bieten positive Impulse, gerade auch für deutsche Unternehmen.
Und wo lauern mittel- und langfristig die größten Gefahren für deutsche Unternehmen in China?
Nachdem es in den letzten Jahrzehnten relativ einfach war, Produktivitätszuwächse zu erzielen, wird dies in der Zukunft zunehmend schwieriger werden. Die Unternehmen werden hier Lösungen finden müssen, zum Beispiel durch Investitionen in die Automatisierung von Produktionsprozessen – eine Entwicklung, die zugleich einen Vorteil bedeutet für viele deutsche mittelständische Unternehmen, die über die benötigten Technologien verfügen. Die weiteren Prioritäten der Wirtschaftsreformen und ihre Umsetzung werden ebenso richtungsweisend sein und das zukünftige Marktumfeld bestimmen.