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Die „Überkapazitäten“-Saga: Handel und Geopolitik, Klima und Produktivität

(German.people.cn)  Freitag, 28. November 2025

  

Von Wolfram Elsner

„China subventioniert seine Firmen und überschwemmt zu Dumpingpreisen unsere freien Märkte.“ Was im Westen immer „gute Exporte“ waren, sind nun bei China „böse Überkapazitäten“.

„Überkapazitäten“ sind tatsächlich Produktionsmöglichkeiten über die eigene aktuelle Nachfrage (einer Industrie, einer Nation) hinaus, aber natürlich auch ganz wesentlich dynamische Fähigkeiten, Produktion und Wirtschaftsentwicklung auf höhere Niveaus zu heben. Darum geht es bei China, und sogar mehr noch in der Zukunft, im Rahmen des neuen Fünf-Jahres-Plans (FJP, 2026–2030).

Nationaler Aufstieg, dynamischer Strukturwandel und Kapazitätsaufbau

Ein Land wie China, das aus der Reihe der hegemonialen „Werte- und Regelordnung“ tanzt, in der mit wenigen Ausnahmen jahrzehntelang keine Aufstiege von Nationen mehr gelungen sind, muss seine langfristige Aufstiegsdynamik intelligent sicherstellen. Der Strukturwandel, den es organisieren muss, besteht nicht zuletzt in der Schaffung von (Über-)Kapazitäten für höhere Wertschöpfungsstufen (höherwertige Produkte und neue Industrien) und in der Vernichtung von alten Überkapazitäten (Industrien mit einfachen Technologien und Produkten).

China hat in den letzten Jahrzehnten große Kapazitäten in allen hochtechnologischen und v. a. öko-relevanten Technologien und Produktgruppen aufgebaut und gigantische alte Überkapazitäten, z. B. im Kohlebergbau, in der Kohleverstromung, in der Stahlproduktion, in Zement usw., stillgelegt.

„Überschwemmungs“-Weltmeister Deutschland beschwert sich über chinesische „Überschwemmung“

Deutschland dagegen denkt seit Kohl, Schröder und Merkel nicht im Traum daran, z. B. seine weltweit größten Überkapazitäten in der Auto-Produktion, seine jahrzehntelange „Überschwemmung der Weltmärkte“ mit Verbrennern und die Überakkumulation einer jahrzehntelang gepamperten Flaggschiff-Industrie abzubauen. Im Ergebnis läuft jetzt die deutsche Automobilindustrie den neuen Mobilitätstechnologien (E-Vehikel (EV), Wasserstoff, chinesische Solarplatten-Autobahnen, intelligentes Fahren usw.) technisch und preislich hoffnungslos hinterher.

Im Ergebnis werden nun in Deutschland und der EU die Klimaziele 2035 abgeschwächt und auf die lange Bank verschoben. Ein Eingeständnis jahrzehntelangen industriepolitischen Versagens.

Deutschland wurde v. a. mit dem chinesischen Investitionsboom nach der Finanzkrise 2008 noch einmal für mehr als ein Jahrzehnt Exportweltmeister. Diese Position wurde erst aus Anlass der Coronakrise mit dem seither offenen Krisenmodus der westlichen Ökonomien und zu alledem noch der Zerschlagung der eurasischen Wirtschaftsverflechtung mit Russland durch die USA beendet.

Bis vor kurzem hatte Deutschland mit einem Weltbevölkerungsanteil von 1,04 % und einem Weltexportanteil von 6,6 % (2023) „Überkapazitäten“ vom Faktor 6,4 (6,6/1,04). Für die USA (4,2 % und 10,0 %) ist der Faktor 2,4. China hat mit 17,5 % (Bev.) und 12 % (Exp.) einen Faktor von 0,7, also einen unterproportionalen (!) Exportüberschuss und nur ein Neuntel des deutschen „Überschuss“- bzw. „Überschwemmungs“-Faktors!

Und während westliche Autohersteller immer noch gut 40 % des chinesischen Automarktes bedienen und deutsche Hersteller 30–40 % ihres globalen Absatzes in China verkaufen, spricht in China niemand von einer „Überflutung durch ausländische Angreifer“.

Abschottung des Westens und globale Wertschöpfungsketten

Die Maßnahmen des Westens zur „Überkapazitäten“-Kampagne gegen China waren seit Langem politisch vorbereitet worden. Biden hatte bereits viele der Maßnahmen von Trump 1.0 verschärft. Dann kam zunächst eine Vervielfachung der Schutzzölle unter Trump 2.0. Der US-Zollsatz z. B. für EVs bleibt (auch nach den Trump-Xi-Vereinbarungen vom Oktober 2025) auf 110 % erhöht. Die EU folgte geflissentlich, durch von der Leyens „Anti-Subventions-Prüfung“ lange ideologisch vorbereitet und erhebt seit 2024 drastisch erhöhte Zölle. Pikanterweise vor allem auf diejenigen chinesischen Produkte, die für die globale Klimawende unabdingbar sind, z. B. auf chinesische EVs, in Höhe von 27 bis 48 %. Selbst die Autos deutscher Unternehmen, die in China produzieren und inzwischen auch im Heimatmarkt konkurrieren, unterliegen politischen (d. h. leicht reduzierten) Zöllen. Betroffen sind also auch Importe von deutschen Herstellern aus China (mit oder ohne Joint Ventures), „also unsere eigenen Exporte, die nur aus China geliefert werden.“

Aber die globalen Wertschöpfungsketten lassen sich nicht einfach politisch-ideologisch umbiegen. Trotz politisch verordnetem Friendshoring z. B. enthalten selbst Produkte, die nun aus „befreundeten“ Drittländern statt aus China geordert werden müssen (z. B. kommen einige iPhones nun aus Indien), nach wie vor überwiegend chinesische Zulieferteile, und die entsprechenden Importe dieser Länder aus China sind in die Höhe geschnellt. Chinesische Produkte werden in diesen Ländern manchmal auch nur umetikettiert, z. T. nun aber auch direkt von chinesischen Unternehmen in diesen Ländern hergestellt. Schließlich kommen chinesische Unternehmen nun auch gern mit Fabrikinvestitionen direkt in den Westen, in der EU namentlich nach Ungarn, Spanien und den Freihandelspartner der EU, die Türkei.

Trotz permanenter politisch-medialer Skandalisierung: Der chinesische EV-Export in die EU macht nur 8 % des EU-Automarktes aus. Von den chinesischen EVs gehen nämlich über 88 % in den eigenen Markt, nur 12 % werden überhaupt exportiert. Und sie müssen hier nun wegen der Zölle zum doppelten Preis wie dem in China angeboten werden, wo junge Familien ein kleines modernes und hochintelligentes EV für unter 10.000$ kaufen können. Nix Dumping.

Subventionen

Dabei wird in China, im Gegensatz zu den USA, der EU und Deutschland, schon seit 2019 die E-Mobilität nicht mehr betrieblich subventioniert, ebensowenig Photovoltaik oder Batterien, während hierzulande die betrieblichen Subventionsmilliarden jedem zugesteckt werden, der bereit ist, eine Fabrik zu bauen, wie wackelig das Projekt auch immer sein mag (Intel, Northvolt, Lilium, Wolfspeed). Subventionen statt Industriepolitik!

Im Gegensatz zum Wertewesten forciert China die Klimawende praktisch ohne betriebliche Subventionen. Washington hat mit seinem Inflation Reduction Act ca. 700 Mrd. $ für Produktionsansiedlung in den Ring geworfen (mit Steuererleichterungen ca. 1,2 Bio.). Die EU hat einen „Resilienzfonds“ von ca. 720 Mrd. €, dazu Subventionen aus EU-Strukturfonds und Kohäsionsfonds. Deutschland ist ohnehin seit je eines der Länder mit den höchsten Subventionsquoten. Es wurden EV-, Batterie- und Halbleiter-Ansiedlungen mit Dutzenden Mrd. € subventioniert.

Ende Klimawende im Westen – Chinas „Überkapazitäten“ entwickeln die Ökologie im Globalen Süden

Ein „Klimaberater“ im Weißen Haus behauptete ernsthaft, China würde mehr Klimawende-Technologien herstellen, als es globalen Bedarf gebe. Während der Kollektivwesten aufgrund seines industriellen Niedergangs und ökologischen Versagens die chinesischen Klimawende-Technologien dringend bräuchte, wird die Klimawende faktisch beendet: Nicht zuletzt mit der Zölle-Abschottung wird die Klimawende im Westen faktisch beerdigt.

Angesichts der westlichen Zollabschottungen, Investitionsverbote und bürokratischen Interventionen bis hin zu Konfiszierungen und Zwangsenteignungen chinesischen Firmeneigentums (so der aktuelle Fall der rechtsextremen holländischen Regierung bei der chinesischen Halbleiterfirma Nexperia, einschl. Technologieklau) sind die alternativen Absatzmärkte Chinas schon weit entwickelt, in Kooperation mit verlässlicheren Partnern Südostasiens und des Globalen Südens, z. B. mit mehr als 150 Partnerländern der Neuen Seidenstraßen, den neuen Motoren der weltwirtschaftlichen Entwicklung und sich neu organisierenden Wertschöpfungsketten. Chinas Handel mit Südostasien und dem Globalen Süden hat sich in den letzten vier Jahren verdoppelt.

Durch Chinas „Überkapazitäten“ in Klimawende-Technologien sind z. B. Erneuerbare in China nun deutlich billiger als Kohle-, Öl-, Gas- und Atomstrom. Davon profitieren v. a. Südostasien, aber auch der Globale Süden insgesamt, über die entstehenden gemeinsamen Energienetze. China ist jetzt die grüne und nachhaltige Fabrik der Welt, wie Roland Berger sagt.

Aber selbst chinesische Ökowende- („Über-„)Kapazitäten sind global noch unzureichend. Das Ausbautempo der Erneuerbaren müsste verdreifacht werden, um die globalen Klimaziele zu erreichen. Die Internationale Energieagentur hat berechnet, dass sich der Absatz von Fahrzeugen mit neuer Energie (EVs, Wasserstoff) global auf das 4,5-Fache von 2022 erhöhen müsste, und der PV-Paneelen-Absatz müsste sich verzehnfachen, um die Klimaziele bis 2030 zu erreichen.

Warum ist im Westen alles so teuer?

Wegen des großen Kosten- und Preisvorteils Chinas können die neuen westlichen Zölle auf EVs von den chinesischen Firmen vermutlich sogar zum guten Teil absorbiert werden. Und was China anbietet, günstige Einsteiger-EVs, gibt es von einheimischen Anbietern der EU gar nicht. Da ist gar nichts zu schützen.

Und dass westliche Autos so teuer sind, weil sie zu einem erheblichen Teil aus Patent- und Lizenzzahlungen an (z. T. eigene) Patentinhaber-Firmen in irgendwelchen Steueroasen bestehen, ein Teil des westlichen Systems der Milliardäre-Pamperung, bleibt ein gutgehütetes Tabu. Statt zuzugeben, dass auch westliche Autos tatsächlich zu 50–60 % ihres jetzigen Preises hergestellt und verkauft werden könnten (das hat also wenig mit geringeren chinesischen Löhnen zu tun), baut man lieber die Nebelwand von „chinesischen Subventionen“ auf. Tatsächlich fließen in China die nötigen technischen Informationen zwischen Unternehmen kostenlos, z. B. zwischen den Großen Autofirmen und zwischen den Großen und den vielen kleinen Mini-EV-Herstellern („sharing economy“), und Patente werden nur angemeldet, um zu verhindern, dass westliche Unternehmen sie anmelden und man am Ende die eigenen Erfindungen teuer kaufen muss.

Das „Geheimnis“ chinesischer Kostenvorteile

China fördert Strukturwandel und ökologische Entwicklung praktisch nur indirekt. Die „Geheimnisse“ des chinesischen Erfolges sind für jeden erkennbar:

· Economies of Scale: Eine Ökonomie mit 1,4 Mrd. Einwohnern in mittleren Einkommensbereichen und mit deutlich steigenden Realeinkommen kann niedrigere Stückkosten realisieren als eine mit 80 Mio. Einwohnern. Volkswirtschaftslehre, 2. Semester.

· Komplette und effektive Wertschöpfungsketten: Hunderttausende Gründerfirmen sorgen für eine Zuliefer-Infrastruktur und regionale Cluster, die in der Welt ihresgleichen suchen.

· Umfassende effektive Infrastrukturen: Kostenlose Infrastruktur-Nutzung ist ein Faktor hoher Kaufkraft der Haushalte, aber auch der Kostenersparnis der Firmen.

· Bildung und Qualifikation: Gute Schulbildung und 600.000 neu ausgebildete Ingenieure jedes Jahr. Vom Arbeiter bis zum Entwicklungsingenieur ist qualifiziertes Potential für die Klimawende vorhanden, das größer ist als das des gesamten Westens. Mehr als 50 % aller Jobs der Welt in Erneuerbaren befinden sich in China.

· Preiswettbewerb: Was der Kapitalismus schon lange nicht mehr kennt: Chinesische Unternehmen müssen wieder echten Preiswettbewerb zugunsten der Käufer und Nutzer generieren. China hat die Konzerne in den letzten Jahren einer harten Wettbewerbskultur unterworfen und entsprechende „Crackdowns“ auf die Oligopol- und Kartellstrukturen des IT-, Immobilien-, Banken- und Finanzsektors durchgeführt. Es ist der „Fitnessclub“ für die deutsche Industrie geworden. Westliche Firmen kommen nun in Bedrängnis, weil chinesische Unternehmen ihre Effektivität auch preislich weitergeben. (Wo die Konkurrenz kontraproduktiv hart geworden ist, wird inzwischen gegengesteuert. Über 30 große Autohersteller werden es wohl auf Dauer nicht bleiben.)

· Chinesische Unternehmen tragen nicht die Topgehälter-, Boni- und v. a. Dividendenlasten westlicher Firmen, die im Wesentlichen Aktienblasen darstellen. Chinesische Unternehmen haben wesentlich geringere Aktienwerte und werden weiterhin überwiegend solide, „altmodisch“ und günstig mit Bankkrediten finanziert.

In Kreisen des deutschen Maschinenbaus z. B. hat man erkannt, warum Chinas Unternehmen qualitativ und preislich führend sind: „Harter Wettbewerb bei gleichzeitig guten Rahmenbedingungen“.

15. FJP und „Produktivkräfte neuer Qualität“

Chinas neuer FJP wird in dieser Richtung weiter Gas geben. Demographische Entwicklung und die wirtschaftlichen Notwendigkeiten der Steigerung des Lebensstandards verlangen, dass die Produktivität weiter massiv gesteigert wird. Zugleich wird auf die Unverletzbarkeit der Nation durch westliche Sanktionsregime geachtet. Ein Automatisierungsschub ist daher auch in den alten Industrien vorgesehen. Die neuesten Industrien und Technologiebereiche werden weiterhin massiv entwickelt und unmittelbar mit gesellschaftlichen Anwendungen verknüpft werden. Der innere Kreislauf wird gestärkt werden über privaten Konsum und massive soziale Förder- und Vernetzungsprogramme (inklusives Wachstum). Die internationale Vernetzung mit allen verlässlichen Partnern bildet zugleich den äußeren Kreislauf (Idee der dualen Kreisläufe).

Der Produktivitätsschub wird aber nicht rein technologisch-industriell beschränkt sein, sondern mit dem mittelfristigen Ziel für 2035, der sozialistischen Modernisierung, verbunden werden. Daher ist eine der neuen großen Ideen die der Produktivkräfte neuer Qualität. Die umfassen menschliche Fähigkeiten im weitesten Sinn, Ausbildung, Qualifikation sowie soziale Vernetzung und Einbettung.

Die chinesischen „Kapazitäten“ i. w. S. werden also weiter steigen, der Stoff für weitere hilflose westliche politisch-mediale „Überkapazitäten“-Kampagnen wird also nicht ausgehen. In der deutschen Industrie, da wo man unter sich ist und Klartext redet, statt Angst- und Kriegstreiberei fürs gemeine Volk zu inszenieren, da schätzt man Chinas Plan realistisch ein:

„Dahinter steckt nicht etwa ein bösartiger Versuch, amerikanische oder europäische Volkswirtschaften zu ‚überfluten‘, ‚abhängig‘ zu machen oder für das Dumping chinesischer ‚Überkapazitäten‘ zu missbrauchen, wie viele oberflächliche Analysen nahelegen. China handelt vielmehr aus wirtschaftlicher Notwendigkeit.“

Wolfram Elsner ist deutscher Ökonom. Die Meinung des Autors spiegelt die Position unserer Webseite nicht notwendigerweise wider.

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