17-11-2025
Das Jahr 2025 markiert das 100-jährige Jubiläum der Ausrufung des chinesischen Palastmuseums, des größten und am besten erhaltenen Holzpalastkomplexes der Welt. Einst war es die „Verbotene Stadt“, der kaiserliche Regierungssitz der Ming- und Qing-Dynastien. Heute zählt es mit über 600 Jahren Geschichte, einer Fläche von 72 Hektar und rund zwei Millionen Sammlungsobjekten zu den bedeutendsten Stätten des kulturellen Erbes der Welt. Der Wandel vom kaiserlichen Machtzentrum zum digitalen Palastmuseum leitet ein neues Kapitel in der Bewahrung und Vermittlung chinesischer Kultur ein.

Die Verbotene Stadt ist heute eines der meistbesuchten Museen Chinas. (Xinhua/Jin Liangkuai)
Ein Jahrhundert im Dienst des Kulturerbes
Am 10. Oktober 1925 öffnete die Verbotene Stadt erstmals ihre Tore für die Öffentlichkeit und wurde damit zu einem Museum. Der Weg dorthin war jedoch von erheblichen Herausforderungen begleitet. Während des antijapanischen Krieges von 1931 bis 1945 retteten Mitarbeiter des Museums über 10.000 Kästen voller Kunstschätze, indem sie diese in den Süden Chinas evakuierten.
Nach der Gründung der Volksrepublik China im Jahr 1949 wurden umfangreiche Mittel in die Restaurierung der historischen Gebäude, die Rückführung verlorener Kulturgüter und den Aufbau moderner Depots investiert. Das Palastmuseum richtete sogar eine eigene „Restaurierungswerkstatt für Kulturgüter“ ein, in der Restauratoren wissenschaftlich fundierte Verfahren zur Erhaltung der Sammlungsobjekte anwenden.
Seit dem XVIII. Parteitag der Kommunistischen Partei (KP) Chinas im Jahr 2012 verfolgt das Palastmuseum eine Vier-Säulen-Strategie mit den Schwerpunkten „Sicheres Palastmuseum“, „Akademisches Palastmuseum“, „Digitales Palastmuseum“ und „Lebendiges Palastmuseum“. In diesem Rahmen wurden die Forschung zum Denkmalschutz intensiviert, digitale Angebote ausgebaut und neue Methoden der Kulturvermittlung eingeführt, wodurch die internationale Wirkung des Museums in vielerlei Hinsicht gestärkt wurde.
Der Erfolg spiegelt sich auch in den Besucherzahlen wider: Zwischen 1949 und 2019 verzeichnete das Museum insgesamt 456 Millionen Besuche. Im Jahr 2009 überschritt die Zahl erstmals die Marke von zehn Millionen pro Jahr. 2024 stieg sie sogar auf über 17,6 Millionen und erreichte damit einen neuen Rekordwert.
Shan Jixiang, der ehemalige Direktor des Palastmuseums, betonte die historische Bedeutung dieser Entwicklung: „Die Umwandlung der kaiserlichen Residenz in ein öffentliches Museum hat die einst abgeschlossenen Palastanlagen in für alle Bürger zugängliche Räume verwandelt. Die kaiserlichen Kunstschätze sind damit zu einem gemeinsamen Kulturerbe der Nation geworden – eine wegweisende Veränderung, die die Museumslandschaft Chinas nachhaltig geprägt hat.“
Heute vereint das Museum als UNESCO-Welterbe, nationales Spitzenmuseum und 5A-Touristenattraktion mehrere Funktionen unter einem Dach. Seine 1,95 Millionen Objekte, überwiegend aus kaiserlichem Besitz und ergänzt durch Schenkungen sowie Rückführungen, bezeugen die Kontinuität und schöpferische Kraft der chinesischen Zivilisation. Viele dieser Schätze warten noch darauf, von der Öffentlichkeit bestaunt zu werden.
Vom materiellen zum digitalen Kulturgut
Noch bis vor wenigen Jahren hoben Online-Reiseführer vor allem den enormen Umfang des Museums hervor: „Die Verbotene Stadt ist riesig. Für die gesamte Anlage sollte man mindestens einen ganzen Tag einplanen.“ Viele Besucher eilten daher nur hastig entlang der Zentralachse durch das Gelände, mehr getrieben als staunend.“
In diesem Sinne waren innovative Vermittlungsansätze erforderlich, um die Besucher nicht nur physisch durch das Welterbe zu führen, sondern ihnen auch die Tiefe der chinesischen Zivilisation unmittelbar erfahrbar zu machen.
Bereits vor 20 Jahren begann das Museum mit der systematischen Digitalisierung seiner Bestände. Bis 2025 wurden über eine Million Objekte digital erfasst, mehr als die Hälfte der gesamten Sammlung. Dank der 2019 gestarteten Initiative „Digitale Sammlung“ sind inzwischen rund 100.000 Werke in hochauflösender Qualität online zugänglich. Von den feinen Pinselstrichen der berühmten Rollmalerei „Qingming-Fest am Fluss“ bis zum Schimmer der Cloisonné-Arbeiten sind die Kunstwerke heute nur noch einen Mausklick entfernt.
Wie die stellvertretende Direktorin des Palastmuseums, Zhu Hongwen, auf der World Internet Conference 2025 erklärte, konnte die digitale Sammlung durch Technologien wie intelligente Suche und Spracherkennung stetig verbessert werden. Über die offizielle Website, die App „The Palace Museum“ sowie das Internetportal „Meistermalereien des Palastmuseums“ (https://minghuaji.dpm.org.cn) erreicht das Haus inzwischen ein Millionenpublikum. Letzteres zeigt beispielsweise Kunstwerke mit bis zu sechs Milliarden Pixeln und macht selbst feinste Materialstrukturen sichtbar. Diese digitalen Plattformen machen das kulturelle Erbe nicht nur zugänglich, sondern auch zu einem Teil des modernen Alltags.
Ein wichtiger Meilenstein ist die im Juni 2025 eröffnete Digitale Halle im DagaoXuandian, einem daoistischen Tempel in Beijing, der 1542 unter Kaiser Jiajing aus der Ming-Dynastie erbaut wurde. Hier vereint das Museum erstmals Depot, Datenbank und Ausstellung in Echtzeit. Dieser virtuelle Tempelkomplex ermöglicht ein dynamisches Sammlungsmanagement und steht zunächst Bildungseinrichtungen offen, später auch der breiten Öffentlichkeit.
Von noch größerer Tragweite ist die Anwendung der Technologie des digitalen Zwillings. Sie verknüpft Denkmalschutz, Sammlungsverwaltung und Besuchererlebnis auf einer intelligenten Plattform. Zukünftig sollen Besucher mit AR-Brillen historische Zeremonien in der Halle der Höchsten Harmonie miterleben können. Gleichzeitig nutzen Forscher digitale Wissensgraphen, um verlorene Passagen der Yongle-Enzyklopädie, der größten Enzyklopädie der Welt aus der Ming-Zeit, zu rekonstruieren.
Wie Zhu betont, gehe es bei der digitalen Transformation nicht nur um technologische Innovation, sondern auch um eine neue Form der Kulturvermittlung. Durch die rasche Digitalisierung der Sammlungen und den Einsatz künstlicher Intelligenz (KI) in der Forschung werde die chinesische Zivilisation im digitalen Zeitalter auf neue Weise lebendig gemacht.
Brücke zwischen den Kulturen
Als weltweit bekanntes Kulturerbe dient das Palastmuseum heute als Forum Chinas für den internationalen kulturellen Austausch. Die im Frühjahr 2025 gemeinsam mit dem Art Institute of Chicago veranstaltete Ausstellung „Rejoicing in Woods and Springs: A Journey through Garden Cultures in China and the Wider World“ in Beijing brachte europäische und traditionelle chinesische Kunst in einen Dialog: Monets „Seerosen“ trafen auf die Tuschearbeit „Lotus“ von Shi Tao (1642–1707) und veranschaulichten so die zeit- und raumübergreifende Verbundenheit der Zivilisationen.
Die internationale Ausrichtung des Palastmuseums wurde systematisch ausgebaut. Seit dem XVIII. Parteitag der KP Chinas hat die Institution rund 30 Leihausstellungen aus Asien, Europa und Amerika präsentiert, 79 Ausstellungen im Ausland sowie in Hongkong, Macao und Taiwan organisiert und an 29 weiteren internationalen Kooperationsprojekten mitgewirkt. Dieser transkulturelle Dialog unterstreicht die Rolle des Museums als lebendige Plattform für den globalen Kulturaustausch.
Noch heute „wächst“ die Verbotene Stadt: Das Nordareal des Palastmuseums mit einer Fläche von über 100.000 Quadratmetern nimmt Gestalt an und wird die Bewahrung des Kulturerbes im nächsten Jahrhundert fortführen.
Der Übergang der Verbotenen Stadt vom abgeschlossenen Kaiserpalast zum weltweit zugänglichen Digitalmuseum verdeutlicht den tiefgreifenden Wandel der Zeit. Wo einst strenge Rituale und geheime Traditionen herrschten, eröffnen heute digitale Technologien neue Zugänge und tragen somit dazu bei, dieses einzigartige Erbe für kommende Generationen zu bewahren.