Die deutsche Keramikkünstlerin Karin Flurer-Brünger am 8. April 2025 in der Taoxichuan Ceramic Art Avenue in Jingdezhen in der ostchinesischen Provinz Jiangxi. (Foto: Xinhua/Du Juanjuan)
Als die Dämmerung über der „Porzellanhauptstadt“ Jingdezhen in der ostchinesischen Provinz Jiangxi hereinbricht, geht die 69-jährige deutsche Keramikkünstlerin Karin Flurer-Brünger gemächlich durch die von Kunstwerken gesäumten Gassen.
Warmes Licht ergießt sich über die roten Backsteinmauern und die geschäftigen Kunsthandwerkerzelte und taucht die vielseitigen Kreationen, die ihren Blick fesseln, in einen sanften Schimmer. Jedes Kunstwerk ist ein stilles Gespräch zwischen Künstler und Ton – und Flurer-Brünger ist eine der vielen Stimmen, die diesen Dialog prägen.
Dies ist ihr dritter Monat in Jingdezhen, einer Stadt mit einer über tausendjährigen Porzellangeschichte, die sich nun als globales Keramikzentrum neu erfunden hat.
„Früher war es eine staubige Industriestadt, heute ist sie sauber und modern“, sagt sie. „Um mich herum habe ich alle Möglichkeiten – mit Brennöfen, Plätzen und Menschen, die auf Keramik, auf Porzellan, spezialisiert sind, und viele schöne Ausstellungen. Ich bin also sehr glücklich, hier zu sein.“
Flurer-Brünger nimmt am Migratory Bird Program des Taoxichuan Art Center in Jingdezhen teil – einer 2015 ins Leben gerufenen Initiative, die Künstler aus aller Welt einlädt, in dieser vor Kreativität strotzenden Stadt zu leben, zu kreieren und Ideen auszutauschen.
Angezogen von der Möglichkeit, in internationalen Ateliers zu arbeiten, mit alten chinesischen Techniken zu experimentieren und Werke zu hinterlassen, die Teil der sich entwickelnden Kulturlandschaft der Stadt werden, haben mehr als 4.300 ausländische Künstler aus über 50 Ländern und Regionen daran teilgenommen.
Im Atelier von Flurer-Brünger stehen Schalen und Tassen, von denen jede ihre eigene Form und Glasur hat, angeordnet auf Regalen. Familienfotos schmücken die Wände und verleihen dem kreativen Raum eine persönliche Note.
„Das kleine Mädchen zeichnet sehr gerne“, sagt sie lächelnd und hält das Kunstwerk ihrer Enkelin vorsichtig hoch. „Ich habe ihre Zeichnungen ausgedruckt und auf meine Keramik übertragen.“
Obwohl sie in einer Familie von Ingenieuren aufgewachsen ist, war es die Beschaffenheit von nassem Ton, nicht von Maschinen, die schon früh ihre Fantasie beflügelte.
Ihr Vater war Maschinenbauingenieur und Erfinder, der ständig seine neuen Ideen skizzierte, erinnert sie sich. Diese frühe Erfahrung weckte ihr Interesse an der handwerklichen Arbeit. Um diesem Interesse nachzugehen, ging sie bei einem Töpfermeister in die Lehre.
„Dieser große Meister hat seitdem mein ganzes Leben beeinflusst. Mein ganzes Leben lang bin ich von den Möglichkeiten dieses Materials fasziniert“, sagt sie.
Die deutsche Keramikkünstlerin Karin Flurer-Brünger zeigt Kunstwerke in ihrem Studio in der Taoxichuan Ceramic Art Avenue in Jingdezhen in der ostchinesischen Provinz Jiangxi. 8. April 2025. (Foto: Xinhua/Du Juanjuan)
Auch Jahrzehnte später inspirieren ihre Neugier und ihr Mitgefühl sie immer noch zu neuen Ideen. Derzeit konzentriert sie sich auf zwei kreative Projekte.
Beim ersten Projekt geht es um Licht und Menschlichkeit. Sie möchte menschliche Persönlichkeiten in ihren handgefertigten Keramiklampen verkörpern, die – genau wie Menschen – sowohl eine raue als auch eine sanfte Seite aufweisen. Das Licht im Inneren soll sie erleuchten und zum Leuchten bringen.
Ihr zweites Projekt ist eine Mission der Empathie. Ihre früheren Erfahrungen mit hilfsbedürftigen Kindern haben ihr ein tiefes Mitgefühl für Menschen vermittelt, die an Hunger leiden. So beschloss sie, 150 Schalen herzustellen und sie zu verkaufen, um Geld für Kinder zu sammeln, die nicht genug zu essen haben. „Das ist ein Wohltätigkeitsprojekt“, erklärt sie. „Die Schale war schon immer ein Symbol für das Essen.“
In Jingdezhen, wo traditionelle Handwerkskunst auf Kreativität aus aller Welt trifft, ist Flurer-Brünger auf Inspiration und Innovation gestoßen. Sie experimentiert mit dünnwandigem und durchbrochen gearbeitetem Porzellan – mit Unterstützung von lokalen Mentoren und gemeinsam genutzten Brennöfen.
„Selbst wenn nicht jedes Stück gelingt, lerne ich etwas Wertvolles“, sagt sie und deutet lachend auf einen Testofen. „Schauen Sie mal – dieser hier wurde in Deutschland hergestellt!“
Ihr künstlerischer Werdegang spiegelt den breiteren chinesisch-deutschen Austausch wider, der durch Porzellan begann – eine Verbindung, die mehrere Jahrhunderte zurückreicht.
Anfang des 18. Jahrhunderts entschlüsselte der deutsche Alchemist Johann Friedrich Böttger das Geheimnis der Herstellung von Hartporzellan, einer in China längst perfektionierten Technik. Er nannte es das neue „weiße Gold“.
1710 wurde in Meißen die erste Porzellanmanufaktur Europas gegründet und damit der Grundstein für ein über 300-jähriges Erbe gelegt. Das Meissener Porzellan wurde bald in ganz Europa populär und als das beste Porzellan der Welt gepriesen.
Später, zwischen 1868 und 1872, bereiste der deutsche Geograf Ferdinand von Richthofen China. In seinen Reisetagebüchern führte er das Wort „Kaolin“ ein, um den weißen Ton zu beschreiben, der in der Keramik von Jingdezhen verwendet wurde. Das Wort leitet sich von seinem Fundort ab, dem nahegelegenen Dorf Gaoling.
Seitdem ist Porzellan aus Kaolin entlang der maritimen Seidenstraße um die Welt gereist – bewundert für seine glatte, edle Schönheit. Es wurde zum Symbol chinesischer Handwerkskunst und öffnete die Tür zum kulturellen Austausch mit dem Westen.
Heute, Jahrhunderte später, setzt sich der Austausch fort. Jingdezhen hat Partnerschaften mit mehr als 180 Städten in 72 Ländern aufgebaut. Mit Veranstaltungen wie der Jingdezhen-Meissen White Gold Exhibition und Live-Shows zur Keramikherstellung in Berlin belebt die chinesische Stadt ihr Erbe als globale Keramikhauptstadt und erfindet es neu.
Kunstwerke aus Keramik in einer Porzellanwerkstatt in Jingdezhen in der ostchinesischen Provinz Jiangxi. 5. Juni 2024. (Foto: Xinhua/Liu Tianyu)
In den letzten Jahren hat Jingdezhen neue Plattformen für den internationalen Austausch geschaffen und die Keramikkultur durch Ausstellungen, Öffentlichkeitsarbeit und Zusammenarbeit aktiv gefördert. In den geschäftigsten Zeiten beherbergt die Stadt über 5.000 Keramikkünstler, -designer und -kunsthandwerker aus aller Welt, die wie Zugvögel kommen und gehen.
Im Jahr 2006 wurden die traditionellen Techniken zur Herstellung handgefertigten Porzellans aus Jingdezhen in die erste Gruppe nationaler immaterieller Kulturerbe Chinas aufgenommen, um diese wertvolle Tradition zu schützen und zu bewahren.
Orte wie Jingdezhen dienen heute als lebendige Bühnen für den globalen Dialog, wo Künstler wie Flurer-Brünger nicht nur keramische Traditionen übernehmen, sondern auch aktiv zur Gestaltung einer gemeinsamen kulturellen Zukunft beitragen – einer Zukunft, die über Generationen hinweg weitergegeben und von neuen Händen neu gestaltet wird.
Die deutsche Keramikkünstlerin möchte diese Traditionen unbedingt weitergeben und ist erfreut über die vielversprechende jüngere Generation. „Ich finde es schön, dass es hier so viele junge Menschen gibt. Junge Deutsche nutzen auch soziale Medien. Vielleicht kann man dieses brillante Porzellan so bekannt machen“, sagt sie. „Junge Menschen interessieren sich wieder für alles Handgemachte, und das könnte die Zukunft der Keramik sein.“
„Ich liebe es, mit jungen Menschen zu arbeiten und Töpfern zu unterrichten. Ich glaube, dass es ein wichtiges Handwerk für die Menschheit ist, und ich hoffe, dass in den kommenden Jahren mehr Menschen auf der ganzen Welt davon erfahren werden“, fügt Flurer-Brünger hinzu.