Nach einem ganzen Tag im Pferdesattel findet Ahli Tudahen auf dem Weideland schließlich einen Platz mit Mobilfunkempfang. Ohne auch nur eine Sekunde zu verschwenden, postet er eilig seine neuesten Kunstwerke online: ein paar Fotos.
Ahli lebt im riesigen Weidegebiet von Solbastao in der nordwestchinesischen Uigurischen Autonomen Provinz Xinjiang. Laut der Hirten vor Ort ist das Weideland so abgelegen, dass man selbst nach Erreichen des Endes der befahrbaren Straßen noch zwei Tage auf dem Rücken eines Pferdes unterwegs ist. Dieses ruhige Leben bietet Ahli und seinen 70 Hirtenkollegen im Fototeam namens Wumot jedoch unendlich viel Inspiration.
„Wumot“ ist kasachisch und bedeutet „Hoffnung“. Das Team hat seit seiner Gründung 2018 eine Sammlung von mehr als 10.000 Fotos zusammengestellt, die die schöne Landschaft und den nomadischen Lebensstil zeigen. Diese Bilder, die größtenteils mit Mobiltelefonen aufgenommen wurden, fangen das Wesen von Rindern und Schafen sowie den Alltag auf der Weide ein.
Die Weidelandschaft von Solbastao in der nordwestchinesischen Uigurischen Autonomen Provinz Xinjiang. (Foto: Xinhua/Hu Huhu)
Die Leidenschaft für das Fotografieren in Sobastao wurde durch ein romantisches Ereignis ausgelöst. Tan Chengjun, Mitglied der Vereinigung der Fotojournalisten Chinas, wurde 2018 von Ahelitay, dem Sohn eines ihm bekannten Hirten, eingeladen, um Hochzeitsfotos zu machen.
Die Neuigkeit, dass Herr Tan Fotograf ist, verbreitete sich schnell. Da immer mehr Hirten Tan baten, ihnen zu zeigen, wie man Fotos macht, entschied der erfahrene Fotograf, das Team „Wumot“ zu gründen und übernahm die Rolle des Teamleiters.
„Für die Hirten und mich bringt das Fotografieren Glück ins Leben“, sagt Tan. „Das Leben auf dem Weideland kann manchmal sehr monoton sein, aber den Hirten beizubringen, die Schönheit der Umgebung mit ihren Mobiltelefonen einzufangen, kann ihre spirituelle Erfahrung bereichern.“
Tan Chengjun (Mitte), Mitglied der Vereinigung der Fotojournalisten Chinas, erklärt Hirten in der Weidelandschaft von Solbastao in der nordwestchinesischen Uigurischen Autonomen Provinz Xinjiang Fotos. (Foto: Xinhua/Hu Huhu)
Die Fachwörter aus der Fotowelt sind für diese Studenten schwierig zu verstehen, deshalb erklärt Tan die Dinge auf eine verständliche Art: „Ein gut komponiertes Foto ist wie eine Waage. Um das Gleichgewicht zu halten, darf man keine schweren Dinge auf die eine Seite legen und leichte Dinge auf die andere“ oder „Versuche, Deinem Foto mehr Farben hinzuzufügen. Genauso, als würdest Du etwas Make-up auftragen, bevor Du hinausgehst“.
Anstatt die Studenten mit zu vielen Fähigkeiten zu überfordern, möchte Tan einen natürlichen Entwicklungsweg fördern. Obwohl Huan Husayin eine Kamera gekauft hat und einige andere Teammitglieder planen, eine Drohne zu kaufen, fotografieren die meisten Hirten mit ihrem Mobiltelefon. Die Ausrüstung, die sie benutzen, mag zwar einfach sein, aber die Resultate „haben mich wirklich umgehauen“, sagt Tan.
Tan Chengjun (links) erklärt Hirten wie man mit einem Mobiltelefon Fotos macht. (Foto: Xinhua/Hu Huhu)
Tans Lieblingsfoto ist „Horseback People“, das aus einer Position hinter dem Kopf eines Pferdes mit Blick auf die üppigen Berge in der Ferne aufgenommen wurde.
„Die Menschen zu Pferde sind auf dem Bild nicht zu sehen, aber es vermittelt die starken Gefühle der Kasachen gegenüber den Weiden, den Pferden und ihrem nomadischen Lebensstil“, erklärt Tan.
Tan ist auch beeindruckt von den einzigartigen Beobachtungen der Hirten ihres Lebensalltags – eine Kuh, die besorgt schaut, wie ihr Kalb einen Fluss überquert, ein kleines Mädchen, das in einer Futterkrippe sitzend ihre Sommerferien genießt, und ein frisch geborenes Lamm, das noch in die Plazenta gehüllt ist.
„Den Auslöser zu drücken ist genauso leicht wie Vieh hüten“, sagte ein Hirte.
„Diese Fotos haben eine besonders ansprechende Qualität und eine reiche Auswahl an Motiven. Das erreichen nicht einmal professionelle Fotografen“, sagt Tan. „Die herrlichen Berge, die Wanderung und die Bindung zwischen Menschen und Tieren – das sind alles sehr gute Motive.“
Tan Chengjun (Mitte) unterhält sich mit Hirten. (Foto: Xinhua/Hu Huhu)
Tan hofft, dass Hirten durch seine Anleitung ihr Leben besser dokumentieren, einen Sinn für Schönheit entwickeln und die großen Veränderungen ihres Heimatortes voll und ganz erleben können. Er freut sich, neue Motive in ihren Fotos auftauchen zu sehen: die Bienenzucht, die für Kasachen zu einer neuen Profession wird, die erste Hochschulabsolventin, die dem örtlichen Frauenverband beitritt, und ein neuer Rekrut, der sich salutierend von seinem altgedienten Vater verabschiedet, bevor er sein Zuhause verlässt, um in die Armee einzutreten.
Mit Unterstützung der lokalen Regierung hat das Team bisher drei Fotoausstellungen abgehalten. Ein Set aus vier Fotos mit dem Namen „Journey to the Alpine Pasture“ sicherte Ahli den ersten Preis, einen elektrischen Kocher. Auf der dritten Ausstellung, die im letzten Jahr stattfand, zeigte Ahli 200 Fotos und gewann erneut den ersten Preis. Diesmal betrug die Belohnung 1.000 Yuan (138 US-Dollar).
Tan besuchte letzten Monat Solbastao, konnte Ahli aber nicht sehen. „Vielleicht weidet er seine Schafe in den Bergen“, sagte Ahlis Nachbar zu ihm. „Oder er sucht irgendwo nach einem Signal. Wer weiß?“