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FU-Vizepräsident Mühlhahn: Das Potenzial der Sinologie ist riesengroß

(German.people.cn)
Freitag, 10. August 2018
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Partnerschaften zu chinesischen Universitäten sind heute bei deutschen Hochschulen nicht mehr wegzudenken. Maßgeblich beteiligt an dieser Entwicklung sind die Freie Universität Berlin und die Peking Universität, die 1981 - nur wenige Jahre nach der Öffnung Chinas - das erste deutsch-chinesische Partnerschaftsabkommen auf Hochschulebene unterschrieben.

Prof. Dr. Klaus Mühlhahn, Sinologe und Vizepräsident der FU Berlin, berichtet im Gespräch mit People’s Daily Online über diese besondere Partnerschaft, die Relevanz der bilateralen Zusammenarbeit in der Wissenschaft und welche Rolle die Sinologie dabei spielt.

Prof. Dr. Klaus Mühlhahn

1. Bereits seit 1981 verbindet die FU Berlin und die Peking Universität, durch das erste deutsch-chinesische Hochschulabkommen überhaupt, eine intensive Partnerschaft. Wie kam es damals, schon so kurz nach den Öffnungsreformen in China, zu dieser Partnerschaft?

Zunächst muss man zwei allgemeine Faktoren vorschicken: Erstens hatte die Freie Universität Berlin die Sinologie schon seit den 1950er Jahren. Etwa seit Ende der 1960er Jahren - insbesondere als Ergebnis der 1968er Bewegung - hat sich die Berliner Sinologie von den anderen Sinologien unterschieden, in dem Sinne, dass sie sich wirklich für das gegenwärtige China interessiert hat.

Zu der Zeit des Partnerschaftsabkommens 1981 war unser Institut, neben der Ruhr-Universität Bochum, daher das einzige, das nicht klassisch philosophisch-literaturwissenschaftlich orientiert war, sondern sich mit dem gegenwärtigen China beschäftigt hat. Daher gab es bereits Austausch und individuelle Kontakte. Der Austausch erfolgte insbesondere über Studierenden, die mit dem DAAD bereits seit Mitte der 1970er Jahre nach China konnten.

Außerdem hatten wir hier an der Universität einen chinesischen Professor, Guo Hengyu, der eine treibende Rolle bei der Kontaktknüpfung zur Peking Universität gespielt hat. Er hat sehr früh erkannt, was die Öffnung Chinas bedeuten wird, dass sie nämlich nicht nur für die Gesellschaft, sondern auch für Universitäten große Chancen für tiefgreifende Veränderungen bietet. Daraufhin hat er dann diese Partnerschaft entwickelt und vorgeschlagen. Der damalige Universitätspräsident Prof. Eberhard Lämmert war Germanist und er war sehr begeistert, als er von diesem Partnerschaftsvorschlag seitens der Sinologie hörte. So wurde sehr schnell vom Präsidium beschlossen, diese Chance zu nutzen, was zu der damaligen Zeit außergewöhnlich war. Professor Lämmert ist dann persönlich nach China geflogen und hat das Partnerschaftsabkommen dort unterzeichnet.

2. Gerade Ihr Institut steht im regen Austausch mit der Peking Universität und es konnten über die Jahre viele Meilensteine - wie die Eröffnung eines Verbindungsbüros in der chinesischen Hauptstadt und die Ausarbeitung einer gemeinsamen strategischen Kooperation -erreicht werden. Wodurch zeichnet sich diese Partnerschaft ganz konkret im Alltag aus?

Mit der Peking Universität haben wir in den ganzen Jahrzehnten wirklich eine hervorragende Partnerschaft aufgebaut. Gerade im Alltag merkt man, dass diese Partnerschaft belastbar und leistungsfähig ist und tief in die Universität hineingeht. Andere Universitäten haben ja häufig Studierenden- und Wissenschaftsaustausche mit chinesischen Partnerunis. Das haben wir mit unseren anderen Partnern ebenfalls. Das ist heutzutage nichts Besonderes mehr, aber es ist gut und wichtig, dass man es macht. Wir haben aber mit der Peking Universität eine Reihe von anderen Programmen, die darüber hinausgehen.

Beispielsweise sind wir mit der Peking Universität Teil eines Netzwerkes, dass sich mit Nachhaltigkeit beschäftigt - und zwar sowohl Nachhaltigkeit als Forschungsgegenstand als auch als Frage, wie man eine Universität nachhaltig macht. Dabei arbeiten nicht nur Wissenschaftler zusammen, sondern auch die Dekanate und sogar die Verwaltungsmitarbeiter. Wir hatten schon mehrfach Verwaltungsmitarbeiter der Peking Universität bei uns zu Gast, die sich mit unseren Verwaltungsmitarbeitern ausgetauscht haben. Das ist eine Austauschebene zwischen Universitäten, die sowohl neu als auch wichtig und vielversprechend ist.

Außerdem haben wir mit der Peking Universität ein gemeinsames Postdoc-Programm. Hier nehmen wir gemeinsam Bewerbungen an und wählen die Teilnehmer ebenso gemeinsam aus. Die Postdoktorrand verbringen dann ein Jahr in Beijing und ein Jahr an der FU Berlin, so dass diese dann zu richtigen Vermittlern werden. Das ist eine neue Form der intensiveren Zusammenarbeit, bei der wir richtige Brücken bauen anhand von den Postdocs, die dann zu Vermittlern werden. Solch ein Programm hat die Peking Universität noch nie mit einer anderen Universität gemacht, das verdeutlicht, wie viel man mit solch einer Partnerschaft auch im Alltag erreichen kann.

Auch mit unseren anderen Partnern in China haben wir zahlreiche Projekte. Ein wichtiges Projekt haben wir beispielsweise mit der Zhejiang Universität in Hangzhou. Zum einen bieten wir den Bachelor Plus an, bei dem wir 10 Sinologie Studierenden als Kohorte nach Zhejiang schicken. Dort bekommen sie einen besonders koordinierten Lehrplan um einerseits schneller Chinesisch zu lernen und andererseits mehr über die Umwelt zu erfahren und zu lernen. Das neue an diesem ausgezeichneten Programm ist, dass alle Leistungspunkte der Studierenden, die sie vor Ort erwerben, im vollen Umfang bei uns angerechnet werden. Das ist für die Studierenden äußerst wichtig.

3. Nun hat die Partnerschaft zwischen der FU und der Peking Universität sich in den letzten Jahrzehnten bereits rasant entwickelt. Welche weiteren Entwicklungen wünschen Sie sich für die kommenden Jahre?

Wir würden uns auf jeden Fall eine Ausweitung dieser Partnerschaft wünschen. Das ist zum Teil auch auf unserer Seite ein Problem. Wir müssen uns darum bemühen, dass wir mehr Studierende und mehr Wissenschaftler finden um diese Partnerschaft zu intensivieren. Wir wünschen uns auch, dass die Peking Universität der Vergrößerung des Programms zustimmt.

Wir haben übrigens auch noch ein Zentrum für Deutschlandstudien, welches wir gemeinsam mit der Peking Universität dort vor Ort betreiben. Zudem bauen wir gerade ein neues Zentrum auf, das Merian Center for Advanced Studies in the Humanities and Social Sciences, eine Art Wissenschaftskolleg für Topwissenschaftler. Wir haben also eine Reihe von Plänen, wie wir diese Partnerschaft noch weiterentwickeln können. Gerade diese Forschungsinstitute, die wir gemeinsam in Beijing betrieben, stehen auf der Agenda für die nächsten Jahre. Dies hat auch einen besonderen Stellenwert, denn das machen wir bisher mit überhaupt gar keine anderen ausländischen Universität. Insofern ist es für uns sehr wichtig, diese Projekte in Beijing erfolgreich zu Ende zu führen. Das ist natürlich aufgrund der intensiven internationalen Verhandlung um Ressourcen etc. nicht immer ganz einfach, aber ich wünsche mir sehr, dass wir unsere gemeinsamen Pläne erfolgreich umsetzen.

4. Welche Bedeutung hat Ihrer Meinung nach die bilaterale wissenschaftliche Zusammenarbeit zwischen China und Deutschland?

Ich halte es für sehr wichtig, dass wir die wissenschaftliche Zusammenarbeit zwischen China und Deutschland bilateral weiterentwickeln. Die Gründe dafür, dass ich denke, dass diese Zusammenarbeit eine sehr hohe Bedeutung hat, liegen vor allem in der dynamischen Entwicklung des chinesischen Wissenschaftssystems. China arbeitet heutzutage in manchem Gebieten auf einem weltweiten Spitzenniveau. Dazu gehören beispielsweise die Bereiche Informatik und künstliche Intelligenz. Generell ist China in allem Digitalen wahnsinnig gut, aber zunehmend ebenfalls in den Lebenswissenschaften und auch in der Medizin holt China schnell auf. Mittlerweile gibt es in der Volksrepublik an vielen Universitäten erheblich bessere Forschungsbedingungen als bei uns. Es gibt auch mehr Forschungsgelder. Aufgrund dieser Dynamik des chinesischen Bildungs- und Wissenschaftssystems, ist es für uns unverzichtbar, dass wir intensiv mit China zusammenarbeiten. Verglichen zu China ist Deutschland ein recht kleines Land und wenn unsere Wissenschaftler auf einem Topniveau arbeiten wollen, müssen sie in immer mehr Feldern unbedingt auch mit und in China arbeiten.

5. Welche Rolle spielt insbesondere die Sinologie bei diesem Austausch beider Staaten und wie hat sich diese Rolle eventuell entwickelt?

Wie schon eingangs erwähnt, befand sich die Gegenwarts-Sinologie Anfang der 1980er Jahre in Deutschland noch in den Kinderschuhen. Das hat sich jetzt natürlich sehr stark geändert. Wir haben heute wesentlich mehr gegenwartsbezogene Forschung. Die Sinologie in Deutschland ist nicht nur zahlenmäßig gewachsen, sondern auch qualitativ viel besser geworden. Auch auf internationaler Ebene ist die deutsche Sinologie viel sichtbarer. Wir haben heute in Deutschland eine Reihe guter sinologischer Standorte, wo sehr viel Wissen über China auf höchstem Niveau produziert wird.

Insofern würde man meinen, dass die Sinologie eine große Rolle spielen sollte in der deutsch-chinesischen Beziehung. Meine Klage und meine Unzufriedenheit richten sich allerdings darauf, dass die Sinologie häufig von Entscheidungsträgern in Politik, Wirtschaft oder in den Medien nicht wirklich wahrgenommen wird. Es ist eine absurde Situation: Die Sinologen arbeiten mit chinesischen Quellen, sind häufig vor Ort und nah an der Realität, wodurch wir heute aus wissenschaftlicher Sicht mehr über China wissen als je zuvor. Dennoch nehmen Wirtschaft, Politik und Medien davon nur wenig zur Kenntnis. Für ein tieferes Chinaverständnis ist es meiner Meinung nach unbedingt nötig, dass man sinologisches Wissen wahrnimmt, auch über die Sinologie hinaus. Das Potential wäre zwar vorhanden, aber in der Realität wird es leider nicht genutzt.

6. Welchen Einfluss hatte Ihrer Ansicht nach die Reform- und Öffnungspolitik auf den universitären Bereich?

Für den universitären Bereich war das natürlich ein unglaublicher Umbruch. In der Kulturrevolution unter Mao Zedong waren die Universitäten ja zeitweise geschlossen und eine der ersten Maßnahmen der Reformpolitik, war die Wiederaufnahme der Arbeit an den chinesischen Universitäten. Das stand ganz am Anfang der Reformpolitik. Nicht nur wurde der wissenschaftliche Bereich von der Öffnungspolitik beeinflusst, sondern die Öffnung der Universitäten hat wiederrum auch die Öffnungspolitik befördert. Das war also ganz bewusst eine der ersten Maßnahmen.

1978 wurde auch beschlossen, dass die landesweite Hochschulzugangsprüfung Gaokao wieder eingeführt wird. Die rein nach Leistung bewertete Gaokao war etwas, dass Mao in der Kulturrevolution eigentlich abgeschafft hatte. Mit der Wiedereinführung wurde gleichzeitig ein Wissenschaftsbereich wieder ins Leben gerufen, der extrem leistungsorientiert war, d.h. es zählte wirklich nur die Leistung. Während es unter Mao noch hieß "lieber rot als Ein Experte", änderte sich nun die Ansicht und es hieß "lieber qualifiziert als rot sein". Insofern gibt es eine enge Verknüpfung zwischen der Reform des Wissenschaftsbereichs in China und der gesamten Reform- und Öffnungspolitik.

Die Reform- und Öffnungspolitik hätte sich nicht so entwickelt, wenn sie sich nicht auf die permanente Unterstützung der Universitäten hätte verlassen können. Heute sieht man ja auch, dass auch die politische Führung Chinas zu einem großen Teil einen wissenschaftlichen Hintergrund hat. In der Führungsriege haben alle studiert, oft an den besten Universitäten und Schulen des Landes oder im Ausland. Das zeigt deutlich eine sehr enge Verbindung zwischen diesen beiden Bereichen. 

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