Das Geschlechterverhältnis in China wird immer unausgeglichener. Grund sind die gezielten Abtreibungen von Mädchen. Ein noch nie dagewesenes Zusammenspiel zwischen den Behörden soll das Gleichgewicht der Geschlechter nun wieder ins Lot bringen.
Erstmals überhaupt gehen in China mehrere Behörden gemeinsam gegen illegale Geschlechtsbestimmungen und die damit verbundenen Abtreibungen vor. Bei den vier Institutionen handelt es sich um die Nationale Kommission für Gesundheit und Familienplanung, das Ministerium für öffentliche Sicherheit, die Staatliche Verwaltung für Industrie und Handel sowie die Behörde für Lebensmittel- und Arzneimittelsicherheit. Die vier Regierungseinheiten haben auf ihren Webseiten einen entsprechenden Entwurf veröffentlicht und die Öffentlichkeit aufgefordert, dazu Stellung zu nehmen.
Der Entwurf sieht die Errichtung eines gemeinsamen Strafverfolgungssystem auf allen Ebenen vor, um die vorgeburtliche Geschlechtsbestimmung und die damit verbundenen Abtreibungen von Mädchen zu unterbinden. Die Aufgaben sind klar verteilt: Für die Umsetzung des Systems sind die lokalen Kommissionen für Gesundheit und Familienplanung zuständig. Parallel dazu wird die Staatliche Verwaltung für Industrie und Handel dafür sorgen, dass keine Werbung mehr für die Geschlechtsbestimmung von Föten gemacht wird. Die Behörde für Lebensmittel- und Arzneimittelsicherheit ihrerseits soll sicherstellen, dass medizinisches Gerät und Medikamente nicht in falsche Hände geraten. Allfällige Zuwiderhandlungen werden vom Ministerium für öffentliche Sicherheit bestraft.
Gemäß dem Entwurf darf die Geschlechtsbestimmung nur noch für medizinische Zwecke angewandt werden, etwa im Zusammenhang mit Erbkrankheiten. Abtreibungen dürfen nur noch dann vorgenommen werden, wenn beim Fötus ein genetischer Defekt oder eine ernsthafte Krankheit vorliegt, oder wenn die Fortführung der Schwangerschaft eine Bedrohung für die Gesundheit der Frau darstellt.
Hauptziel des Entwurfes ist es, das ungleiche Geschlechterverhältnis auszubalancieren. Pränatale Tests zur Bestimmung des Geschlechts sind in China wegen der traditionellen Vorliebe für Jungen eigentlich verboten. Nach Angaben des chinesischen Statistikamts kamen im Jahr 2013 auf 100 neugeborene Mädchen 117 Knaben. International üblich ist ein Mädchen-Jungen-Verhältnis von 100 zu 103 bis 107. Das Ungleichgewicht wird im Erwachsenenalter zum großen Problem, weil Millionen von Männern keine Frau finden und somit auch keine Familie mehr gründen können.
Den chinesischen Behörden ist es bisher nicht gelungen, die rechtswidrigen Abtreibungen von Mädchen unter Kontrolle zu kriegen. Viele werdende Eltern lassen das Geschlecht ihres Babys in illegalen Kliniken auf dem Festland bestimmen, oder reisen dazu ins benachbarte Hongkong oder nach Thailand, um sicherzustellen, dass ihr Kind auch ein Junge wird.
Am 7. August beispielsweise wurde am Grenzübergang Luohu in Shenzhen eine Frau verhaftet, die 96 Blutproben von Schwangeren auf sich trug. Mit Hilfe von DNA-Tests hätte in Hongkong dann das Geschlecht der Ungeborenen festgestellt werden sollen.
Soziologieprofessor Yuan Xin von der renommierten Nankai-Universität in Tianjin begrüßt den Entwurf. Der Entwurf schaffe „eine klare Rechtsgrundlage“ für die Behandlung und Bestrafung von Fällen wie der Frau, die Blutproben von Shenzhen nach Hongkong schmuggeln wollte. Nach Meinung von Yuan sollte die gezielte Abtreibung von weiblichen Föten in China wie in Indien oder Südkorea rechtlich als Straftat behandelt werden. „Derzeit gilt das Strafrecht nur für geschlechterspezifische Abtreibungen, die von nicht lizenzierten Medizinern vorgenommen werden.“ Viele Abtreibungen würden aber auch von zugelassenen Ärzten vorgenommen, erklärt Professor Yuan.
Einen Durchbruch in dieser Frage erhofft sich Yuan nun durch das geplante gemeinsame Vorgehen der Behörden: „Das Thema ist kompliziert und kann von einer Behörde allein nicht gelöst werden.“