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Kluge Köpfe braucht das Land

(German.people.cn)
Donnerstag, 16. November 2017
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Chen Chen, Freiwillige bei Teach for China, beim Englischunterricht an der Xinhe-Grundschule im Dorf Dazhai in der Provinz Yunnan. [China Daily zur Verfügung gestellt]

NGO schafft Abhilfe

Seit zehn Jahren versucht eine gemeinnützige Organisation in China das Ungleichgewicht zwischen städtischer und ländlicher Bildung zu korrigieren. 2008 hat Teach for China erstmals freiwillige Absolventen von Chinas besten Hochschulen aufs Land geschickt, um dort den Mangel an qualifizierten Lehrkräften zu lindern. Heute ist klar, dass sich das gelohnt hat.

Als He Liu vor sieben Jahren an der Sekundarschule im Dorf Dazhai in der Provinz Yunnan ankam, hatten die Kinder noch nie was von Beethoven, Chopin oder anderen Komponisten gehört und waren oft etwas verwirrt, wenn der neue Lehrer mal eine Nocturne im Unterricht gespielt oder ihnen Das Phantom der Oper auf DVD gezeigt hat. Für die Schüler war das, was außerhalb der Grenzen ihres Dorfes lag, größtenteils unbekannt und schwer zu begreifen.

„Je mehr Lieder und Filme sie kennengelernt haben, desto mehr konnte ich sehen, dass sie Spaß hatten. Manche haben zur Musik mit dem Kopf genickt und so getan, als würden sie dirigieren”, erinnert sich der 29-jährige Absolvent der Pädagogischen Universität Beijing an seine Schüler.

Nach seinem Abschluss 2010 reiste He in bergige Regionen, um dort Geschichte zu lehren. Ihm fiel auf, dass die meisten Lehrer im Dorf nur Abschlüsse von Berufsschulen hatten und kaum über den Inhalt der Textbücher hinaus lehren konnten. „Die Eltern, die oft ihr ganzes Leben in der Landwirtschaft gearbeitet hatten oder auf der Suche nach Arbeit in die Großstadt gehen und die Kinder bei den Großeltern zurücklassen mussten, konnten nur begrenzt Wissen vermitteln. All das hat eine Rolle gespielt”, meint He.

Feng Qingli war damals Schulleiter an Hes Schule und meint, die Abgeschiedenheit des Dorfes hindere die Entwicklung der Kinder. „Fast alle von ihnen strengen sich an in der Schule, allerdings haben sie wenig Kontakt mit der Außenwelt und deshalb einen begrenzten Horizont.”


Wegbereiter: Andrea Pasinetti, Gründer von Teach for China [China Daily zur Verfügung gestellt]  

Zhang Yue ist eine von Hes ehemaligen Schülerinnen und in seine Fußstapfen getreten. Nach der Schule nahm sie ihr Studium an der Beihang-Universität in Beijing auf. Das Studium habe ihr geholfen ihren Horizont zu erweitern und sie nachhaltig geprägt.

„Als ich jung war, gab es keine Welt jenseits der Dorfgrenzen. Herr He hat uns gezeigt, dass unser Dorf ganz klein ist und wir raus in die Welt ziehen können, wenn wir uns anstrengen”, erinnert sich Zhang.

Laut Teach for China wurden zwischen 2008 und 2017 etwa 1000 Absolventen von Chinas besten Hochschulen aufs Land entsendet. Der Nutzen ist eindeutig: Im Jahr 2016 haben sich die Durchschnittsnoten in den 470 betreuten Schulklassen verbessert und in 420 Schulklassen stieg auch die Zahl derer, die regelmäßig über 80 von 100 Punkten in Klausuren erzielen.

Stadt-Land-Gefälle

China ist seit Beginn der Reform- und Öffnungspolitik in den späten 1970ern zur zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt geworden. Der Preis für die damit verbundene schnelle Urbanisierung ist eine immer größere Schere zwischen Stadt und Land. Besonders im Bereich Bildung seien die Unterschiede besonders besorgniserregend, meinen Experten.

Wang Liwei ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am 21st Century Education Research Institute, einer gemeinnützigen Organisation in Beijing, die zu Bildungspolitik forscht und berät. Bildung auf dem Land sei wichtig, weil ein großer Teil der Bevölkerung immer noch auf dem Land lebe, so Wang.

„Schlechte Bildung in abgeschiedenen Gebieten wirkt sich auf die dortige Arbeitsqualität aus und könnte die Entwicklung Chinas beeinträchtigen. Menschen, die wegen ihrer geringen Bildung nicht beschäftigungsfähig sind, können auch die gesellschaftliche Stabilität bedrohen.”

In den vergangenen zehn Jahren wurde von der Regierung immer mehr in Bildungseinrichtungen auf dem Land investiert. Es wurden bessere Gebäude und Einrichtungen zur Verfügung gestellt und politisch Anreize geschaffen, die qualifizierte Lehrkräfte in abgeschiedene Gebiete holen sollten.

Im Jahr 2007 wurde vom Staatsrat, also dem chinesischen Kabinett, das „Free Normal Education Program” an sechs pädagogischen Hochschulen des Landes implementiert, wo Lehrkräfte für alle Stufen des chinesischen Bildungssystems ausgebildet werden.

Im Rahmen des Programms zugelassene Studenten sind von Studiengebühren befreit und erhalten während der Vorlesungszeit einen monatlichen Zuschuss von 600 Yuan (80 Euro). Nach dem Abschluss müssen sie eine Zeit lang in Regionen mit Lehrermangel gehen.

Im Jahr 2010 wurde vom Bildungs- und vom Finanzministerium gemeinsam das staatliche Programm zur Ausbildung von Lehrkräften für die Primar- und Sekundarstufe initiiert.

Das Programm bietet Dorflehrern aus Zentral- und Westchina die Möglichkeit auf Kosten des Staates an Auffrischungskursen oder kurzen Fortbildungen an Chinas besten Hochschulen teilzunehmen.

Laut Bildungsministerium wurden 2012 vom Staat 2,7 Billionen Yuan (346 Milliarden Euro) für Bildung ausgegeben, erstmalig mehr als 4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Die Zahl steigt seitdem stetig an, im letzten Jahr wurden 3,8 Billionen Yuan (487 Milliarden Euro) bzw. 5,2 Prozent des BIP in Bildung investiert.

Die steigenden Investitionen bedeuten, Schüler auf dem Land müssen nicht länger Angst haben, dass während des Unterrichts der Putz von der Decke bröckelt und Internetzugang oder multimediagestützte Lehre sind an vielen Schulen auch keine Besonderheit mehr.

„Wenn man jetzt übers Land fährt, ist es schön zu sehen, dass Schulen immer die besten Gebäude haben”, meint Andrea Pasinetti, Gründer und Geschäftsführer von Teach for China.

Trotz der besseren Infrastruktur herrsche in einigen ländlichen Regionen allerdings immer noch starker Mangel an Lehrkräften, meint Wang vom 21st Century Education Research Institute.

„Der Mangel an qualifizierten Lehrkräften führt dazu, dass wohlhabendere Eltern ihre Kinder zur Schule in die nächstgelegene Kreis- oder Großstadt schicken, durch die sinkenden Schülerzahlen wird der Lehrermangel aber nur schlimmer, weil Lehrer dann auch in die Stadt gezogen werden, das ist ein Teufelskreis.”


Schülerinnen der Xinhe-Grundschule in der Pause. [China Daily]

Vorteile auf beiden Seiten

Andrea Pasinetti, der die italienische und US-amerikanische Staatsbürgerschaft hat, gründete im Jahr 2008 nach amerikanischem Vorbild Teach for China. Auf Chinesisch heißt die Organisation „Meili Zhongguo”, also „schönes China“.

Teach vor China hebt sich von anderen gemeinnützigen Bildungsorganisationen ab, weil es bei den Freiwilligenprogrammen nicht nur um Hilfe in eine Richtung geht. Stattdessen sind die zweijährigen Programme bei Teach for China so gestaltet, dass sowohl Schüler als auch die entsendeten Lehrkräfte was davon haben.

Liu Pengze ist Direktor der Beijing Lead Future Foundation, einer nichtstaatlichen Organisation, die den Großteil der Gelder für Teach for China bereitstellt. Liu meint, Freiwilligenprogramme im Bildungsbereich seien keine Neuheit in China, es gebe zum Beispiel schon länger das Hope Project und auch andere Initiativen, aber meistens sollen Lehrkräfte zeitlich unbegrenzt an Schulen in ländlichen Regionen gebunden werden.

„Der ungleiche Zugang zu guter Bildung ist das Ergebnis von Urbanisierung, aber man kann jetzt nicht erwarten, dass talentierte Lehrkräfte in wenig reizvolle, abgeschiedene Regionen gehen und ihr Leben lang dortbleiben.”

Bevor sie zum ersten Mal Unterricht geben können, muss jeder Freiwillige von Teach for China an einem Kurs teilnehmen, der vier bis sechs Wochen dauert. In dem Kurs werden grundlegende Lehrmethoden, betriebswirtschaftliche Kenntnisse und regionale Besonderheiten vermittelt. Die Kursteilnehmer müssen das Gelernte in Übungsstunden auch direkt anwenden. Während der Fortbildung bekommen die Freiwilligen monatlich 2200 Yuan (220 Euro), nach der Entsendung an die Schule gibt es dann 2800 Yuan (360 Euro) pro Monat.

Die Bezahlung sei zwar niedrig, aber die Freiwilligen profitieren noch anders von dem Programm, so Pasinetti. „Kaum ein Arbeitgeber betraut neue Mitarbeiter mit wichtigen Aufgaben und lässt sie direkt größere Verantwortung übernehmen, aber auf dem Land sind unsere Freiwilligen in jeder Klasse selbst die Chefs.”

He Liu meint, seine Erfahrungen als Freiwilliger in Dazhai halfen ihm eine systematische Denkweise zu entwickeln, die ihm immer noch nütze: „Die Lehre ist zielgerichtet und kommt nicht ohne klare Planung aus. Das hat meine Denkweise verändert und ich zehre noch heute in meinem täglichen Leben davon.”

Nachhaltigkeit

Erhebungen von Teach for China zeigen, dass das zweijährige Programm viele Freiwillige dazu motiviert im Bildungsbereich zu bleiben. „Vor der Entsendung wollen nur 6 bis 7 Prozent im Bildungsbereich bleiben, aber nach dem Programm sind es 70 Prozent”, glaubt Liu Pengze.

Damit liegt er fast richtig. Laut Teach for China bleiben mehr als 50 Prozent der Freiwilligen nach ihrer Lehrtätigkeit auf dem Land im Bildungsbereich oder fangen bei anderen gemeinnützigen Organisation an.

Bei der Beijing Lead Future Foundation und Teach vor China ist im Moment schon ein neues Projekt in Planung. Das Projekt heißt Meili Xiaoxue, auf Deutsch „schöne Grundschule”, und soll ehemaligen Freiwilligen von Teach for China die Möglichkeit bekommen sich weiter zu engagieren.

Bei dem Projekt geht es darum, dass teilnehmende Schulen zwar den lokalen Bildungsbehörden unterstellt bleiben, die Verwaltung der Lehre aber an die Beijing Lead Future Foundation und Teach for China übergeben.

„Wir haben jetzt zwei solche Schulen, für uns sind das zwei Labore. Wir wollen neue Ansätze für Bildung auf dem Land entwickeln, die dann in anderen Teilen Chinas Anwendung finden können”, erklärt Pasinetti. 

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