Mit der Verhängung einer dreimonatigen Bedenkzeit bei Scheidungsverfahren möchte ein Volksgericht in Anyue seiner Verantwortung zur Mediation bei familiären Auseinandersetzungen nachkommen.

Ein Volksgericht in Anyue (Provinz Sichuan) hat einige Ehepaare, die einen Scheidungsantrag gestellt haben, angewiesen, es vor der Fortsetzung des gerichtlichen Verfahrens mit einer „Abkühlperiode“ zu versuchen. Von der Öffentlichkeit wurde die Maßnahme mit gemischten Reaktionen aufgenommen. Während manche ihre Potenziale für die Aufrechterhaltung der sozialen Stabilität schätzen, glauben andere, dass dadurch gesetzliche Rechte von Bürgern verletzt werden.

Das Volksgericht Anyue hat innerhalb von drei Monaten sechs solcher Entscheide getroffen und bietet Ehepaaren im Scheidungsverfahren eine 90-tägige Frist an, um sich vor dem Erlass eines rechtskräftigen Urteils zurückzuziehen und zu versöhnen. Den Bestimmungen entsprechend können Paare vor dem Ablauf der Frist keine Scheidungsklage einreichen und nötigenfalls eine Verlängerung der Periode beantragen.

„Nach zehn Jahren guter Taten überqueren zwei Menschen einen Fluss in derselben Fähre, aber nach hundert Jahren der Meditation ruhen sie ihre Köpfe auf demselben Kissen aus“, lautet ein berühmtes chinesisches Sprichwort, das in den Bestimmungen zitiert wird.

„Für die Ausstellung eines Bescheides benötige ich einen vollen Arbeitstag, da es keinerlei Fälle gibt, auf die ich verweisen könnte“, sagte Jiang Xinru, Vorsitzender des Volksgerichts Anyue.

Laut Jiang werden die „Abkühlbescheide“ hauptsächlich an Paare ausgegeben, die aus einer Affekthandlung heraus eine Scheidung beantragen. Gestützt auf die Erfahrung der Richter und die von den Ehepaaren gesammelten Informationen entscheidet das Gericht, ob es diese Alternative vorschlägt.

Das kreative Verfahren wurde von vielen Paaren begrüßt. Laut dem Nachrichtenportal Thecover.cn hat das erste Paar, das im März einen solchen Bescheid erhalten hat, schließlich am 14. Juni seinen Scheidungsantrag zurückgezogen, und gesagt, dass die Abkühlperiode sie davon abgehalten hat, ihre Familie zu zerbrechen.

Andere haben unterschiedliche Auffassungen ausgedrückt, das Gericht für den Eingriff in die beiden durch das chinesische Gesetz abgedeckten Freiheiten Ehe und Scheidung kritisiert.

Als Antwort auf diese Vorwürfe sagte Jiang gegenüber Medienvertretern, dass die Abkühlungsperiode zwar über keine Rechtsgrundlage verfüge, aber das chinesische Recht bei familiären Auseinandersetzungen nach einer Mediation der Gerichten verlangt. Er bemerkte auch, dass die Bedenkzeit sofort annulliert würde, falls Probleme wie häusliche Gewalt ans Licht kämen.

„Gemäß einer von unserem Gericht durchgeführten Umfrage unterstützen mehr als 70 Prozent der Teilnehmer die Abkühlungsperiode. In China reichen jedes Jahr ungefähr fünf Millionen Menschen die Scheidung ein. Das kann zu sozialen Problemen wie Jugendkriminalität und einer mangelnden Unterstützung für ältere Menschen führen. Wir hoffen, mit der Ausgabe dieses Bescheides Familien, die sich am Rande der Trennung befinden, bewahren zu können“, sagte Jiang.