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Beschleunigte Gesellschaft: Lebenskrise Mitte 20

(German.people.cn)
Freitag, 14. April 2017
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Viele Chinesen müssen als Mittzwanziger oder Mittdreißiger mit Identitätskrisen und psychologischen Fragen umgehen. Elterliche Altenpflege, hohe Mietpreise und eingeschränkte Karrierechancen sind wichtige Stressfaktoren.

Eigentlich werden Menschen Mitte 20 als in der Blüte ihres Lebens stehend angesehen. Sie sind noch jung und haben viel Energie, um Ihren Interessen und Hobbys nachzugehen. Doch für Wang Ying (Pseudonym) ist das nicht der Fall. Sie ist am Arbeitsplatz stark eingebunden und fühlt sich oft erschöpft, als ob sie beschleunigt altern würde. Vor kurzem hat sie ihr erstes graues Haar entdeckt. Ihr Leben ist nicht so einfach, wie es früher war, und sie fühlt sich wie in einer Midlife-Crisis, dabei ist sie erst 28 Jahre alt. Es ist nicht nur Wang, der es so geht.

Die Definition von „jungen Menschen“ der Vereinten Nationen hat in Chinas Sozialen Medien vor kurzem für Aufruhr gesorgt. Die UN definiert „Jugend“ als jene Menschen zwischen 15 und 24 Jahren, was bedeutet, dass jeder, der vor 1993 geboren wurde, nicht mehr als jung gilt. Dies zog das Interesse von vielen Chinesen auf sich, die in den 80er und 90er Jahren geboren wurden. Viele eigneten sich diese neue Selbstdefinition an und sahen ihr Leben in einem neuen Licht: Mitten in der Krise.

„Basierend auf meinen Erfahrungen gibt es in der Tat eine Tendenz, die zeigt, dass es in China im Vergleich zu früher in einem jüngeren Alter zu einer Midlife-Crisis kommt“, erklärt Gao Heng, ein erfahrener psychologischer Berater in der Stadt Guangzhou in der Provinz Guangdong.

„Das Hauptproblem ist, dass Menschen zu einem bestimmten Zeitpunkt in ihrem Leben das Gleichgewicht und ihre Richtung verlieren“, so Gao. „Die heutige Jugend ist zu besessen von einem sogenannten idealen Leben, dass das eine große Kluft zwischen ihrem Ideal und der Realität verursacht.“ Gao zufolge sind die Gründe für diesen wachsenden Trend eng mit der raschen Entwicklung der chinesischen Gesellschaft verbunden.

Überlastet und allein

Wangs Leben spiegelt das von vielen Chinesen in ihren 20er und 30er Jahren wider. Sie wurden in der Ära der Ein-Kind-Politik geboren, haben mehrheitlich keine Geschwister und müssen sich allein um ihre Eltern kümmern. Zudem macht die Arbeit in den Großstädten des Landes, weit weg von der Heimat, es für sie schwieriger, den eigenen Eltern zu helfen.

„Die Leute verlangen zu viel von sich selbst. Sie müssen lernen, manchmal einen Schritt zurück zu machen“, erklärt Meng Yurong, eine erfahrene psychologische Beraterin mit Sitz in Beijing, in Hinblick auf die Lebenssituation von Wang Ying. „Es ist gut, bei der Arbeit zu brillieren und sich zugleich um die Familie zu kümmern, aber wenn das jenseits der eigenen Fähigkeit ist, muss man sich entscheiden, statt erdrückt zu werden“, so Meng.

Sich festgefahren fühlen

Ein weiterer Hauptgrund der vorgezogenen Midlife-Crisis, auch Quarterlife-Crisis genannt, ist das Gefühl der Ohnmacht, welche einige Chinesen über die Änderung ihres Status im Leben verspüren. Die 28-jährige Emily Li arbeitet in der Onlinehandelsbranche in Shanghai und wird genau von diesem Problem geplagt.

Li arbeitet seit Jahren in der Branche und ist zu einem der Hauptmanager in ihrem Büro aufgestiegen. Von Zeit zu Zeit fühlt sie sich jedoch hoffnungslos wegen der Gläsernen Decke bei der Arbeit. Die Gläserne Decke ist eine Metapher für die Schwierigkeiten von Frauen, in Top-Positionen aufzusteigen. Li zufolge arbeiten viele ihrer Kollegen und Freunde sehr hart und werden auch schnell befördert, aber ihre Karrieren scheinen anschließend wenig Spielraum für weitere Entwicklung zu haben.

Die hohen Wohnungspreise in Shanghai machen es zudem unmöglich, einen dauerhaften Ort zum Leben zu erwerben und feste Wurzeln in der Stadt zu schlagen, was ihre Besorgnis noch erhöht. Manchmal denkt Li, dass ihr Leben „festgefahren“ sei, mit wenig Raum für Veränderung. Sie weiß nicht, wie sie damit umgehen soll. „Das Schreckliche ist, dass die Zukunft fast völlig vorhersehbar ist“, erklärt sie. „Ich kann meine Zukunft an meinen älteren Kollegen ablesen. Das ist zu starr und langweilig.“

Stress durch ständiges Vergleichen

Viel Angst und Stress entstammen auch dem Vergleich zu anderen scheinbar erfolgreicheren Kollegen und Freunden. Das ist auch der Fall für den 30-jährigen John Zhao, der in Beijing arbeitet.

Zhao war ein Spitzenschüler und war sich sicher, es später einmal zu etwas zu bringen. Doch nach fünf Jahren in seiner Arbeit verdient er immer noch ein gewöhnliches Einkommen und sieht sich eher als ein „niemand“ im Vergleich zu einigen seiner erfolgreichen Klassenkameraden an.

Je mehr Informationen er über sie durch die Sozialen Medien erhält, desto deprimierter fühlt er sich. „Ich kann spüren, dass die Lücke zwischen ihnen und mir immer größer und größer wird“, klagt er.

Zhao will etwas ändern, aber es fehlt ihm an dem nötigen Antrieb, um dies zu verwirklichen. Zum Beispiel hat er seinen aktuellen Job und die Branche satt, aber er glaubt auch, dass es zu spät ist, um seinen Beruf zu wechseln. Seine Eltern drängen ihn zudem dazu, zu heiraten, was ihn noch mehr unter Druck setzt. Einerseits will er sich noch nicht niederlassen, anderseits fühlt er sich zu machtlos, um ein anderes Leben für sich selbst zu schaffen.

Leben im Jetzt

„Die Dynamik, etwas zu tun, kommt aus zwei Quellen: Liebe und Angst. Die meisten Probleme entstammen der letzteren Quelle“, erklärt Meng. Die Angst vor Scheitern oder Verlust könne Menschen zwar kurzfristig motivieren, aber sie sei nicht so effektiv auf lange Sicht. „Die wirkliche Macht kommt aus dem eigenen Herzen, Selbstakzeptanz und Liebe, nicht von anderen“, so Meng.

Sie denkt, das eigentliche Problem stamme aus dem inneren Aufruhr des Individuums und dem Fehlen eines Wertesystems, um die Dinge zwischen sich und der Außenwelt richtig einzuschätzen. Deshalb könne man sich leicht von anderen übervorteilt fühlen, die erfolgreicher erscheinen.

Meng rät, die Vielfalt der Lebensstile zu akzeptieren. Man müsse nicht zwangsläufig „erfolgreich“ sein. Stattdessen sollten Individuen sich selbst treu bleiben, innerhalb ihrer Fähigkeiten handeln und herauszufinden, was sie in ihrem Leben wollen, anstatt zu versuchen, die Erwartungen anderer zu erfüllen. Jeder Mensch sei einzigartig und es sei sinnlos, sich mit anderen zu vergleichen, so Meng.

Gao zufolge sollten Menschen daran arbeiten, mehr Selbstvertrauen und Selbstakzeptanz aufzubauen. „Man sollte herausfinden, in welchem Lebensstadium man sich im Moment befindet und nicht in einer idealen Zukunft leben, die man sich im Kopf ausgemalt hat“, so Gao. „Es ist notwendig, praktisch und positiv zu sein und den Moment zu nutzen und gut zu leben.“

Das schnelle Tempo der gesellschaftlichen Entwicklung, die raschen Veränderungen der Wertesysteme und die Informationsüberlastung seien weitere Faktoren, die eine „Midlife-Crisis in jungen Jahren“ auslösen können, so Gao. „Es ist normal, sich besorgt über die Kluft zwischen den Erwartungen und der Realität zu fühlen. Aber wenn man ein Problem positiv betrachtet und versucht, eine Lösung zu finden, anstatt zu verzagen, sieht die Welt gar nicht so schlecht aus.“ 

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